München – Andreas Dresen ist einer der renommiertesten deutschen Filmregisseure der Gegenwart. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören "Halbe Treppe", "Sommer vorm Balkon", "Wolke 9" und "Halt auf freier Strecke". Am (heutigen) Montag inszeniert der 51-Jährige bei den Münchner Opernfestspielen Richard Strauss' "Arabella". Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht er über seine künstlerische Affäre.
Frage: Haben Sie Angst vor dem Münchner Opernpublikum?
Antwort: Ich mache mich auf einiges gefasst, aber es gehört in der Oper ja inzwischen schon zum guten Ton, dass es da rund geht und eine gewisse Polemik gibt. Ich finde das sogar ganz gut und erfrischend. Im Kino kommt es ja kaum vor, dass mal gebuht wird nach einer Premiere, und im Schauspiel auch ganz selten. Wenn die Leute ihren Emotionen freien Lauf lassen, finde ich das prinzipiell gut. Komisch wird es nur, wenn das auch schon wieder zum Ritual wird und einfach nur dazu gehört.
Frage: Was macht Ihre Inszenierung aus?
Antwort: "Arabella" ist ja eine Oper, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstanden ist, aber in Wien um 1860 spielt. Wir haben sie in ihre Entstehungszeit, die späten 20er Jahre, verlegt und halten diese Geschichte für eine sehr existenzielle. Es geht ums Geld, es geht ums Überleben, schon in der ersten Szene tanzen alle am Abgrund. Und in diesem Strudel sehnt sich eine Frau nach Liebe und Halt – weg aus dieser trostlosen Welt. Wenn man es genau nimmt, wird Arabella an einen reichen Mann verhökert. Es ist ein Stück über Sehnsucht in instabilen Zeiten und dadurch auch sehr heutig. Wir spüren ja alle, dass die Welt ganz schön am Wackeln ist.
Frage: Und warum spielt Ihre Inszenierung dann nicht im Hier und Jetzt?
Antwort: Als modernes Stück würde es schon wegen der Verkleidungsgeschichte nicht funktionieren. Etwas Abstand macht eine Erzählung auch durchaus poetischer und allgemeingültiger. Wir fanden die 20er Jahre interessant, weil es eine Zeit war, in der die Welt aus den Fugen geriet: Weltwirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit. Die Menschen haben sich in dieser Zeit danach gesehnt, dass jemand kommt, der Stärke hat. Und das hat dann politisch in eine sehr desaströse Richtung geführt. Ich glaube, dass diese Sehnsucht nach Sicherheit auch bei der Entstehung der Oper eine Rolle gespielt hat. Insofern war es spannend, das in diese morbide, kaputte Zeit zu setzen. Ein Tanz auf dem Vulkan, man lässt sich gehen. Bei diesem Ball im zweiten Akt geht es ja sehr wild zu. So was gibt es heute ja auch noch, wenn die ganze Nacht in einem Techno-Club durchgetanzt wird.
Frage: Sie haben ja zuletzt einen Techno-Film gemacht.
Antwort: Da gibt es durchaus Parallelitäten, die durch alle Zeiten gehen. Je instabiler die Welt ist, desto mehr haben die Leute das Bedürfnis, zu feiern und alles zu vergessen. Es ist ja eh schon egal.
Frage: Was hat Sie bei der Arbeit an "Arabella" am meisten überrascht?
Antwort: Ich habe zweimal Mozart gemacht, und das ist natürlich eine ganz andere Form von Oper. "Arabella" ist eigentlich ein Konversationsstück, keine Wiederholungen, fast wie im Schauspiel. Das ist für die Inszenierung ziemlich interessant – nur dass der Rhythmus manchmal recht schnell ist. Es hat mich schon überrascht, dass man teilweise kaum hinterherkommt, wenn man die Vorgänge geordnet erzählen will. In den letzten beiden Akten merkt man dann, dass es nicht vollendet ist, weil Hofmannsthal vorher gestorben ist. Da klappert es dramaturgisch ziemlich. Es gibt einen sehr spannenden Briefwechsel von Strauss und Hofmannsthal über die Entstehung der Oper, der zeigt, wie offen und kritisch die beiden miteinander umgegangen sind, das ist wirklich toll – ein Beispiel für eine kreative und sehr fordernde Zusammenarbeit. Das geht teilweise an den Rand der Beleidigung. Aber es führt ja auch zu was.
Frage: Kennen Sie solche künstlerischen Beziehungen selbst auch?
Antwort: Ich arbeite ja mit Wolfgang Kohlhaase sehr eng zusammen – wir schreiben uns allerdings nicht so ausführliche Briefe, weil wir uns einfach treffen und reden können. Emotionale Auseinandersetzungen gehören aber dazu – man ist nicht immer einer Meinung, reibt sich, es gibt Diskussionen. Das ist Teil des kreativen Prozesses. Ich arbeite gerne in der Gruppe und entwickle Dinge auch hier häufig erst in den Proben mit den Sängern.
Frage: Lassen sich alle Sänger darauf ein? Oder fordern sie manchmal mehr Führung ein?
Antwort: Sicher muss man sich erstmal kennenlernen und Vertrauen fassen, aber im allgemeinen ist es ja etwas sehr Schönes, wenn man merkt, dass man zwar geführt wird, aber doch seinen eigenen Raum hat. Ich habe hier sehr gute Erfahrungen gemacht mit den Sängern, das macht viel Spaß.
Frage: Beim Filmdreh können Sie allein sagen, wo es langgeht, in der Oper steht ein gleichberechtigter Dirigent neben Ihnen. Fällt Ihnen das schwer?
Antwort: Das ist etwas total anderes, klar. Aber es ist auch toll. Durch die Musik ist ein strenges Korsett vorgegeben. Das kann man als Begrenzung empfinden oder als Stütze. Es gibt Momente, in denen man als Regisseur loslassen und einfach der Musik vertrauen kann. Ich bin keineswegs der Meinung, dass auf der Bühne die ganze Zeit Action sein muss. Die Musik ist bei der Erzählung der Geschichte mindestens gleichberechtigt.
Frage: Sie haben aber jetzt nicht so viel Gefallen an der Oper gefunden, dass Sie dem Film den Rücken kehren wollen, oder?
Antwort: Nein. Ich bin in erster Linie Filmregisseur und das bleibe ich auch. Ich bin mit dem Film verheiratet und das Theater ist die Geliebte. Das kann ja sehr inspirierend sein.
(Die Fragen stellte Britta Schultejans, dpa)
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