Bayreuth – Richard Wagners "fliegender Holländer" ist im 21. Jahrhundert vom verfluchten See- zum Geschäftsmann geworden. Auf der Bühne der Bayreuther Festspiele ist er ein einsamer, aber reicher Geschäftsmann mit Rollkoffer auf der Datenautobahn, die in Windeseile Zahlenkolonnen bewegt. Ein Hedgefonds-Manager vielleicht oder ein Unternehmensberater.
Von diesem Ausgangspunkt aus erzählt der Regisseur Jan Philipp Gloger seit der Premiere 2012 die Geschichte der Wagner-Oper – und es ist eine sehr schlüssige Geschichte geworden, wie einmal mehr am Freitag deutlich geworden ist. Der Lohn: freundlicher Applaus. Was ja schon etwas heißen will in Bayreuth, wo schon viele Regisseure mit heftigen Missfallensbekundungen zu kämpfen hatten.
Die musikalische Leitung hat in diesem Jahr Axel Kober inne. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf hatte es bislang nicht gerade leicht am Grünen Hügel. 2013 debütierte er hier mit "Tannhäuser", doch alles sprach über die irritierende Biogasanlage auf der Bühne. Im Jahr darauf dann gab es "Tannhäuser" mit Kober am Pult sogar zum Festspielauftakt – und dann streikte die Bühnentechnik, und die Panne war das alles beherrschende Thema.
In diesem Jahr nun hat er den "Holländer" übernommen. Der gebürtige Oberfranke, der einst in Bayreuth als Jugendlicher Musikschulunterricht bekommen hat, tritt somit kein leichtes Erbe an: Christian Thielemann war für seinen furiosen "Holländer" im Vorjahr heftig gefeiert worden.
Bei Kober peitscht und wallt die See nicht. Sie wogt eher düster und bedrohlich, was ein bisschen näher an dem hochinteressanten Bühnenbild (Christof Hetzer) ist, das Datenströme und Zahlengewirr vor dunklem Hintergrund präsentiert. Das Publikum goutiert seine Interpretation mit Beifall. Den gibt es auch für Ricarda Merbeth, die eine sehr präsente Senta bietet.
Etwas gedämpfter ist die Zustimmung für den Sänger der Titelpartie, Samuel Youn. Umso begeisterter wird dafür der von Eberhard Friedrich geleitete Chor gefeiert – und das zu Recht, zumal auch das schauspielerische Talent der Sänger gefragt gewesen ist.
Der "Holländer" ist eine Produktion aus einem Guss, wohldurchdacht, was man wahrlich nicht von allen derzeitigen Bayreuther Inszenierungen behaupten kann. Musik und Handlung gehen Hand in Hand.
Gefangene sind sie beide – Senta und der Holländer: Er im Korsett der Wirtschaftswelt und seines Reichtums, mit dem sich zwar Wellness und Sex kaufen lassen, aber eben keine Liebe und keine Treue. Sie wird vom Vater verschachert, der im Holländer den reichen Schwiegersohn sieht. Und sollte eigentlich – wie all die anderen Frauen auch – Ventilatoren zusammenschrauben und verpacken.
Die Szenerie erinnert an ein Versandzentrum der Wirtschaftswunderjahre, als man sich Konsumartikel im Katalog bestellte. Diesem Zwang zum monotonen Arbeiten widersetzt sich Senta.
Am Ende finden beide Erlösung im Tod – diese innige Todesumarmung wird vom Steuermann (Benjamin Bruns mit sowohl gesanglichem als auch schauspielerischem Talent) rasch abfotografiert. Als Vorlage – denn die emsigen Fabrikarbeiterinnen stellen nun keine Ventilatoren mehr her, sondern Plastiklampen, die ein Liebespaar zeigen.
Sogar der tragische Tod der Liebenden wird für Wirtschaftsinteressen ausgeschlachtet. Der banale Kapitalismus hat gesiegt. Oder doch nicht? Die letzten Takte der Musik erklingen. Und verströmen wieder ein wenig Hoffnung.
(Von Kathrin Zeilmann, dpa/MH)
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