"Orfeo" bei der Ruhrtriennale: Susanne Kennedy lässt von Monteverdi-Oper nicht viel übrig

21. August 2015 - 11:06 Uhr

Essen – Als Claudio Monteverdi 1607 mit "L’Orfeo" die Gattung Oper erfand, ging er gleich aufs Ganze. Denn er stellte mit seiner Adaption des antiken Orpheus-Mythos letzte Fragen an das Leben und die sogar den Tod überwindende Kraft der Kunst, verkörpert durch die allegorische Figur der Musik. Bei der Ruhrtriennale zerlegt nun die hoch gehandelte Star-Regisseurin Susanne Kennedy, die demnächst mit Chris Dercon an die Berliner Volksbühne geht, Monteverdis Oper in eine begehbare Installation.

"Orfeo", Ruhrtriennale 2015

"Orfeo", Ruhrtriennale 2015

Zugleich stellt sie den Mythos von Orpheus auf den Kopf, der in die Unterwelt geht, um mit seiner betörenden Musik seine tote Geliebte Eurydike wieder in die Welt der Lebenden zurückzuholen. Denn Monteverdis Hauptfigur bekommt man in dem 80-minütigen Parcours, den das Publikum nur in Grüppchen von acht Personen begehen darf, erst ganz am Schluss zu sehen. Seine Stimme weht allerdings immer wieder aus dem Off herüber. Und zwar kommt sie aus einer der Kammern, die Katrin Bombe für Kennedy und ihre Ko-Regisseurinnen Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot in das abgründige Labyrinth der Mischanlage der Kokerei auf der Zeche Zollverein gebaut hat.

Zehn Jahre ist es her, dass dort der Künstler Christian Boltanski und die Regisseurin Andrea Breth mit der Kreation "Nächte unter Tage" die grandiosen Räume ebenfalls für die Ruhrtriennale in ein Seelenbergwerk dunkler Erinnerungen verwandelten. Die verwinkelten, riesigen Räume wurden durch die beklemmende Installation zu einem unheimlichen Echoraum kollektiver Erinnerungen.

Susanne Kennedys Team dagegen nimmt die Architektur wenig zur Kenntnis, nutzt sie allenfalls als erhabenen Auftakt, um dort hinein klaustrophobische Zimmerchen zu implantieren. In ihrer extra banalen pastellfarbenen Plastik-Retro-Künstlichkeit bilden sie einen schroffen Kontrast zur schrundigen Industrie-Architektur.

Der Parcours beginnt jedoch erst einmal mit einer Lorenfahrt steil hinauf in den Hochturm der Anlage. Dann klettert man vorbei an Trichtern und Schlünden die Treppen wieder hinab, um in einem Vorraum – der Hölle? – via Kopfhörer den englisch gesprochenen Instruktionen zu lauschen.

Dann muss man durch enge Schleusen und auf grünes Licht sowie ein brummendes weißes Rauschen warten, bevor man einen der Räume betreten darf. Auf Ledersofas, an Küchentischen, an Instrumenten verharren dort geklonte Eurydiken. Die mit gespenstischen Latexmasken und weißblonden Barbie-Perücken ausstaffierten Frauen tun kaum etwas, sondern starren die Gäste aus ihren Zombiegesichtern an. Auf dem Weg zwischen den Räumen sieht man entfernt immer wieder das Solistenensemble Kaleidoskop sitzen, ebenfalls im Zombie-Outfit, man hört eine atomisierte Monteverdi-Partitur, angereichert mit elektronischen Mischklängen.

Auch scheinen die Plastikzimmerchen zu vibrieren, der Boden unter den Füßen ist nicht sicher. So geht es über mehr als eine Stunde: Die peinigende Nähe der Zombie-Frauen, die Plastik-Welt, verwehende Barock-Klänge. Ein beklemmender Stillstand.

Kennedy fragt – nach dem auch von Elfriede Jelinek aufgeworfenen Ansatz – danach, ob Eurydike überhaupt zurückgeholt werden will in die Welt. "Eine Sterbeübung" hat Kennedy ihre Arbeit untertitelt und sich noch dazu mit dem tibetanischen Totenbuch beschäftigt und dessen Anleitungen zum finalen Loslassen.

All das ist ein bisschen viel der Absicht und ohne das Programmbuch, das man erst nach dem Parcours lesen darf, nicht richtig einsichtig. Außerdem gerät Monteverdis suggestive Musik arg ins Abseits, wird zur reinen Klangtapete für eine bizarre Performance.

(Von Constanze Schmidt, dpa/MH)

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