Linz (MH) – Es gibt Ideen und Projekte, die sind ethisch lobenswert und eigentlich auch notwendig. Sicherlich richtig und wichtig ist es, die von tragischen Ereignissen geprägte, weit über tausendjährige Geschichte des armenischen Volkes (oder Episoden daraus) ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Kunst und insbesondere Musik kann dafür ein probates Mittel sein. Der dramatische Gehalt dieses Themas stellt allerdings höchste Ansprüche an einen Komponisten: er muss sich messen (lassen) an all den Kollegen, die hochdramatische Geschichten meisterhaft komponiert auf Opernbühnen und Oratorienpodien brachten. – Vig Zartmans beim Brucknerfest Linz vom State Youth Orchestra of Armenia unter Sergey Smbatyan uraufgeführte Komposition "Roots of Revival" (deutscher Untertitel: "Der Große armenische Abend") überzeugte jedoch nicht.
Das hat mehrere Gründe. Auf der Bühne musizieren ein großes, quasi romantisch besetztes Orchester, ein gemischter Chor (Art Vocal Ensemble of Armenia), ein Solosopran (Liana Aleksanyan), ein Pianist (Nareh Arghamanyan) und Emmanuel Hovhannisyan mit der Duduk, dem armenischen Nationalinstrument. Der Verzicht auf Text – die Sänger begnügen sich mit Vokalisen – raubt dem Werk die Möglichkeit, durch Worte Inhalt zu transportieren. Umso ausdrucksvoller, in dramatischen Abläufen gestalteter und komplexer müsste die Musik sein, egal, ob ihr ein "Programm" zugrunde liegt oder nicht. Doch man hört leider kaum mehr als mit wenig abwechslungsreichen Rhythmen und Blechbläserakkorden hinterlegte Streichermelodien von beschränktem Tonumfang, die in stets ähnlicher Weise von gleichbleibendem Mezzoforte auf Fortissimo hinführen und plötzlich abbrechen.
Was ist das? Ein großes Lamento? Auch ein Lamento braucht Spannungsbögen und Komplexität, soll es einen Abend füllen. Bei Vig Zartmans Lamento über Armenien hat man nach 20 Minuten den Eindruck, man habe alles gehört, es folgten nur noch Wiederholungen. Und das ist grade mal die Länge eines Satzes einer Symphonie, wenn man diesen vergleichenden Gedanken wagen darf.
Vig Zagman ist bislang als Komponist von Fernsehserien-Episoden-Filmmusik hervorgetreten und in diesem Metier durchaus erfolgreich. Ihn – wie im Brucknerfest-Programmheft – mit Hans Zimmer zu vergleichen, ist allerdings maßlos übertrieben. Fazit: Die Geschichte eines Volkes bilder- und textlos abendfüllend darzustellen, ist nicht geglückt. Gut gemeint und doch verpatzt.
Schade außerdem, dass die Uraufführung im Rahmen des Brucknerfestes stattfand, im Großen Saal des Brucknerhauses und einen Abend, nachdem Rudolf Buchbinder bei einem Orchesterkonzert zu hören war. Einerseits: Was hat Armenien mit Bruckner zu tun? Andererseits: Wie will man mit einer Uraufführung über die Geschichte Armeniens einen großen Konzertsaal füllen? So blieb der Saal zu vier Fünfteln leer – ein so mager besetztes Auditorium ist immer eine trübe Erfahrung, die man, so absehbar, dem Ensemble von Seiten der Veranstalter hätte ersparen können.
(Von Martina Kausch)
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