Berlin – Nicht weit von den Feiern zum Einheitsjubiläum am Brandenburger Tor hat die Berliner Staatsoper am Wochenende eine "sehr deutsche Oper" auf die Bühne gebracht, genau wie Generalmusikdirektor Daniel Barenboim vor der Premiere gesagt hatte. Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg", zelebriert als Lobgesang auf die Bundesrepublik: Eine riesige Deutschlandfahne, der Anfangschor wie eine Nationalhymne und am Ende blühende Landschaften, die hinter dem Preußenschloss aufgehen.
Ob Regisseurin Andrea Moses ihren Wagner in Schwarz-Rot-Gold ernst oder nur als ironische Brechung meint – darüber schieden sich am Sonntag nach der Vorstellung die Geister. Allerdings war das alles sehr dick aufgetragen: Eva (Julia Kleiter) und Stolzing (Klaus Florian Vogt) schwören sich ewige Liebe und halten dabei die Flagge fest, Ballons in bundesrepublikanischen Farben steigen in den Himmel. Dazu Lederhosen und Dirndl, Gilden-Standarten, Fans von Hertha BSC und Union Berlin.
Offenbar regt diese Wagner-Oper, die ja zunächst um die Möglichkeiten der Kunst kreist, immer wieder Deutschland-Fantasien an. Noch vor ein paar Jahren machte sich Andreas Homoki darüber an der Komischen Oper lustig und zeigte Nürnberg als enge Playmobil-Welt. Vom Pathos einer Nationaloper war damals wenig zu spüren.
Auch Andrea Moses nimmt die Handwerker und Kaufleute zunächst aufs Korn. Beckmesser (Markus Werba) ist ein kleinkarierter Nerd, Evas Vater Veit Pogner (Kwangchul Youn) ein ehrenpusseliger Patriarch. Ein holzgetäfelter Mehrzwecksaal, wie er wohl in vielen westdeutschen Rathaus-Neubauten zu finden ist, verwandelt sich von einer evangelischen Kirche in den Event-Raum für den "Song Contest" um Evas Gunst.
Auf einer tragbaren Wand, wie sie nach Fußballspielen für Spielerinterviews vor die Kamera geschoben werden, erscheinen die Namen der Teilnehmer als Markenlogos. Auch im zweiten Akt wiederholt Moses diesen Gedanken, nur spielt sich jetzt die Eskapade von Stolzing und Eva auf einer Dachterrasse ab, im Hintergrund die Namen der Meistersinger in riesigen Neon-Buchstaben.
Weil Barenboim das Werk zur Tageszeit des Operngeschehens spielen wollte, wurden die ersten beiden Aufzüge am Samstagabend bis kurz vor Mitternacht gespielt, der dritte Akt dann am Sonntagmittag. Das Experiment endete mit viel Beifall für das hochkarätige Sängerensemble, an erster Stelle wohl für Wolfgang Koch als Hans Sachs.
Doch der eigentliche Star ist das Orchester. Nie zu langsam, nie zu laut – die Vorspiele zum ersten und dritten Aufzug stattet Barenboim mit einem in dieser Intensität kaum gehörten Klangreichtum aus, beim Dirigieren der samtigen Streicher lässt er sich viel Zeit, kostet jeden Takt aus. Hier zelebriert sich auch die Staatsoper selber. Barenboim, der 1992 an ihre Spitze trat, ist am Wochenende hörbar zum Feiern zumute.
Jeweils eine Premiere hatten die drei Berliner Opernhäuser am Wochenende aufgeboten – und vielen Opernfans hektische Tage beschert. Bereits am Freitagabend hatte an der Komischen Oper Intendant Barrie Kosky "Hoffmanns Erzählungen" als schrill-wahnwitzigen Alptraum inszeniert. Am Sonntagabend stand dann an der Deutschen Oper auch Giacomo Meyerbeers fünfstündige Entdecker-Oper "Vasco de Gama" auf dem Programm.
(Von Esteban Engel, dpa/MH)
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