Wagners "Götterdämmerung" in Nürnberg als Politkrimi in einem Medienkonzern

12. Oktober 2015 - 12:46 Uhr

Nürnberg – Bei der Inszenierung von Richard Wagners "Götterdämmerung" ließ Regisseur Georg Schmiedleitner am Sonntagabend im Nürnberger Staatstheater kaum etwas aus, was die moderne Medienwelt an Verführungen und Spielereien bereithält – fast ein bisschen im Übermaß, wie einige Premieren-Gäste fanden.

Götterdämmerung

Götterdämmerung

Denn anders als bei den vorangegangenen Teilen seines "Ring des Nibelungen" bedachten die Premierenbesucher die Inszenierung eher mit höflichem Beifall und sehr verhaltenen "Bravo"-Rufen. Der Wiener Theatermacher sorgte zum Schluss seines seit 2013 inszenierten "Rings" eher für Nachdenklichkeit als für pure Begeisterung. Nur die Musiker der Nürnberger Staatsphilharmonie unter Leitung von Chefdirigent Marcus Bosch begeisterten uneingeschränkt.

Nürnberg – Am Ende wurde die Inszenierung zum Welttheater: Direkt von der Opernbühne aus twittern die Rheintöchter Brünnhildes Vision einer neuen Welt direkt ins Netz. Und noch auf der Bühne gibt Siegfrieds geläuterte und dabei gewandelte Witwe einem realen Team des Bayerischen Fernsehens ein Interview. Die Flammen auf den Trümmern der Walhalla werden dagegen auf Smartphone-Maß zurechtgestutzt – als flackernder Videoclip auf Dutzenden von Handy-Bildschirmen.

Schmiedleitner präsentierte wie schon bei den ersten drei Teilen des Zyklus ein weitgehend von Mythen und falschem Heldenpathos gereinigtes "Bühnenfestspiel" – durchdrängt von fast tagesaktuellen, politischen Zeitbezügen. Er selbst spricht von einem "Politkrimi", in dem mächtige Medienkonzerne "scheinbar die Welt besser machen, aber in Wahrheit neue totalitäre Systeme aufbauen".

Bildgewaltig setzte er dabei das hinterlistige Streben des intriganten Neureichen-Clans der Gibichungen nach der Weltherrschaft in Szene. So verwandelte er die Gibichungen-Burg in eine durchgestylte, kalte Konzernzentrale. Über allem baumelt überdimensional der Buchstabe G – an der Typenart unschwer als das G des Suchmaschinen-Giganten Google erkennbar. Obdachlose, die auf der Wohlstandsinsel Unterschlupf suchen, werden unter dem sich senkenden Bühnenboden gnadenlos zermalmt.

Mit drastischen Bildern holt Schmiedleitner schließlich auch den Bürgerkrieg auf die Bühne: Vor einer riesigen Projektionswand vergnügen sich der Gibichungen-Chef Hagen (Woong-Jo Choi) und seine beiden erwachsenen Kinder Gunther (Jochen Kupfer) und Gutrune (Ekaterina Godovanets) bei Gewaltvideos, in denen sie in brutalen Straßenkämpfen Rebellen zur Strecke bringen.

Das flammenumkränzte, ansonsten eher grundbiedere Heim von Siegfried (Vincent Wolfsteiner) und seiner Frau Brünnhilde (Rachael Tovey) versetzt Bühnenbildner Stefan Brandtmayr in einen versenkbaren Computer-Bildschirm. Und schließlich kommt auch die aktuelle Flüchtlingsproblematik nicht zu kurz. Dabei lässt Schmiedleitner mitten in eine ausgelassene Büro-Fete eine Gruppe von Bootsflüchtlingen platzen – eine etwas fragwürdige Effekthascherei.

Sängerisch glänzte neben Woong-Jo Choi in der Rolle des durchtriebenen Hagen und dem Tenor Vincent Wolfsteiner als Siegfried vor allem Jochen Kupfer als Gunther. Gesanglich unter ihren Möglichkeiten blieb Rachael Tovey in der ansonsten überzeugend gespielten Rolle der Brünnhilde. Die Stärke der Staatsphilharmonie mit ihren Chefdirigenten Marcus Bosch zeigte sich vor allem im Schlussakt. Gerade in den oft ausgedehnten gesanglosen Partien vermittelte das Orchester eindringlich die ungeheure emotionale Kraft der Wagner’schen Musik – bot aber ansonsten den Sängern genügend Raum, um ihre Rolle kreativ ausspielen zu können.

(Von Klaus Tscharnke, dpa/MH)

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