Gütersloh – "Es ging alles sehr schnell, und ich kann gar nicht einschätzen, wie es war." Die Aufregung ist der 23-jährigen Clara Corinna Scheurle noch deutlich anzuhören. Gerade hat die Mezzosopranistin der Jury ihre Arien vorgesungen. Nun heißt es für die Kandidatin aus Deutschland: warten, bis die Jury ihr Urteil gefällt hat.
Anders als bei den Pop-Castingshows im Fernsehen hören die Juroren der "Neuen Stimmen" zuerst alle Kandidaten an, bevor sie darüber entscheiden, wer in die nächste Runde kommt. Zwei Arien singen die höchstens 30 Jahre alten Sängerinnen und Sänger den Opernexperten vor, dann kommt der nächste Kandidat auf die Bühne. Gesprochen wird so gut wie gar nicht. Die Atmosphäre ist hochkonzentriert.
"Manchmal kann man einem Juror beim Vorsingen ein Lächeln entlocken, aber die meisten zeigen keine Regung", erzählt David Ostrek aus Kroatien von seinem Auftritt. Mehrere Monate hat sich der 22-jährige Bariton auf den renommierten Wettbewerb vorbereitet, der für die jungen Musiker mehr ist als ein hoch dotierter Nachwuchspreis. Alle zwei Jahre reist die hochkarätig besetzte Jury um den Vorsitzenden Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper, rund um die Welt, um nach geeigneten Kandidaten zu suchen.
Der internationale Gesangswettbewerb "Neue Stimmen" wurde 1987 auf Anregung von Herbert von Karajan gegründet. Die Gütersloher Bertelsmann Stiftung lobt den mit insgesamt 60.000 Euro dotierten Preis alle zwei Jahre aus. Er gilt als Eintrittskarte für die großen Opernbühnen der Welt. So gibt die Gewinnerin von 2013, die amerikanische Sopranistin Nadine Sierra, in der nächsten Saison ihr Debüt an der Mailänder Scala und an der Metropolitan Opera New York. Der Shootingstar der jüngeren Countertenöre Franco Fagioli gehört ebenfalls zu den Siegern der "Neuen Stimmen".
"Tagesverfassung ist oft entscheidend"
Mehr als 1.300 Bewerber haben die Juroren sich in diesem Jahr bei den Vorauswahlen von Mai bis August angehört, an 26 Orten weltweit von Göteborg bis Kapstadt und von Toronto bis Peking. 42 Talente wählten sie für die Endrunde in Gütersloh aus. "Es ist schon ein großer Erfolg, hier überhaupt dabei sein zu dürfen. Selbst wenn man es dann nicht bis ins Finale schafft", sagt David Ostrek, der sich nach seinem Ausscheiden aus dem Wettbewerb ganz auf das zum Programm gehörende professionelle Einzelcoaching konzentrieren will.
"Niemand muss nach Hause fahren, wenn er es nicht in die nächste Runde schafft", erzählt Clara Corinna Scheuerle. "Alle sind die ganze Woche hier und haben ein volles Programm." Sie schied im Semifinale aus, ist aber sicher, dass die Teilnahme eine große Chance für ihre weitere Karriere bedeutet: "Die Juroren führen mit jedem von uns Einzelgespräche und erklären, was wir gut gemacht haben und wie wir uns verbessern können." Und: In den Zuschauerrängen hinter den Juroren sitzen zwei Dutzend Theaterdirektoren und Vertreter großer Agenturen, die auf der Suche nach neuen Talenten sind.
"Wir werden hier gehört und können direkte Kontakte knüpfen", ist sie sich sicher. Immer wieder erhalten Wettbewerbsteilnehmer unmittelbar nach den Auftritten in Gütersloh Angebote für Engagements – auch wenn sie nicht auf dem Siegerpodest standen.
"Beim Vorsingen gilt: Jetzt oder nie, und die Tagesverfassung ist oft entscheidend", sagt dazu der Jury-Vorsitzende Dominique Meyer. Er habe schon häufig Teilnehmer zum Vorsingen an die Oper in Wien geholt, auch wenn sie nicht unter den Siegern waren. Seine Überzeugung lautet: "Als Juroren sind wir hier, um Entscheidungen zu treffen, aber auch, um die jungen Sängerinnen und Sänger zu fördern".
Am Samstag dann fiebern alle mit – auch die, die schon ausgeschieden sind: Für welchen Sieger entscheidet sich die Jury? Elf Kandidaten kämpfen im großen Finalkonzert mit ihren Stimmen um den Sieg.
(Von Beate Depping, dpa/MH)
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