Moderne Opern schaffen es selten ins Repertoire

31. Januar 2016 - 09:45 Uhr

Uraufgeführt und schnell wieder verschwunden

München – Wenn die Bayerische Staatsoper eine brandneue Oper herausbringt, lässt sich das Haus nicht lumpen. Besetzung, Regisseur, Dirigent – für die Uraufführung von "South Pole" am (heutigen) Sonntag, der ersten abendfüllenden Oper des eher unbekannten tschechischen Komponisten Miroslav Srnka, ist alles vom Feinsten.

Szene aus "South Pole"

Szene aus "South Pole"

Je weniger prominent der Komponist oder das Werk sind, desto mehr Aufwand braucht die künstlerische und mediale Realisierung. Das ist so etwas wie ein Grundgesetz, wenn es um neue Opern geht. Schließlich wollen Kritiker angelockt und die mehrheitlich eher konservativen Abonnenten angesprochen werden. Doch oft verpufft das Ergebnis dann wieder ziemlich schnell.

Viele aufwendig produzierte Auftragswerke verschwinden schon nach dem Uraufführungszyklus und vielleicht einer oder zwei Wiederaufnahmen in der Versenkung. Echte Durchläufer, gar Welterfolge, sind selten geworden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das noch anders. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Komponisten wie Richard Strauss, Erich Wolfgang Korngold, Franz Schreker oder Alban Berg die Avantgarde. Viele ihrer oft szenisch wie musikalisch gewagten Opern gingen in Windeseile durch die deutschsprachigen Länder und sogar um die Welt. Nach dem Krieg gelang etwa Benjamin Britten mit "Peter Grimes" noch einmal ein solcher Renner, eingeschränkt gilt das auch für Aribert Reimanns "Lear" oder Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten".

In neuester Zeit kann man es schon als durchschlagenden Erfolg verbuchen, wenn ein Werk noch in einer Handvoll weiterer europäischer Häuser gezeigt wird. Doch selbst die Stars unter den Neutönern wie Luigi Nono, Hans Werner Henze und Wolfgang Rihm haben es nicht richtig ins Repertoire geschafft, das seit Jahrzehnten wie in Stein gemeißelt von Mozarts "Zauberflöte" als meist gespielter Oper überhaupt angeführt wird – gefolgt von Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" sowie Verdis "La Traviata".

Unter den 50 Opern mit den höchsten Aufführungszahlen listet die aktuelle Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins kein einziges zeitgenössisches Musiktheaterstück auf. Woran liegt das? "Schwere Frage", meint Bernhard Pfau, Leiter der Bühnen- und Konzertabteilung beim renommierten Schott-Musikverlag in Mainz – schließlich führen solcherlei ästhetische Fragen schnell aufs populistische Glatteis.

Die Partitur ein kalligraphisches Meisterwerk

Liegt es an der schweren Verständlichkeit der aktuellen Musiksprache? An allzu abstrakten Libretti, die keine Geschichten mehr zu erzählen wissen? Pfau widerspricht der gängigen Einschätzung und verweist auf die Erfolge von durchaus sperrigen Werken wie Zimmermanns "Soldaten", jüngst in München mit überwältigendem Publikumserfolg aufgeführt, oder Helmut Lachenmanns "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern".

Pfau sieht den Hauptgrund in den heutigen Produktionsverhältnissen. Zum einen stünden generell viel weniger unterschiedliche Werke auf den Spielplänen als früher. "Da bleibt neben dem Kern-Repertoire, das für volle Häuser sorgen muss, wenig Platz für Neues." Und wenn man denn etwas Zeitgenössisches auf den Spielplan hebe, müsse das oft schon eine Uraufführung sein, die sich auch gut vermarkten lasse. Ein Werk nachzuspielen, das ein anderes Haus in Deutschland herausgebracht hat, sei wenig attraktiv.

Die Bayerische Staatsoper in München hebt neben den eigenen Uraufführungen auch an anderen Häusern entstandene Auftragswerke ins Programm. Dass die modernen Werke es schwerer ins breite Repertoire schaffen als in früheren Epochen, mag Intendant Nikolaus Bachler nicht gelten lassen. "Herausragendes wurde damals wie heute komponiert. Die Zeit wird zeigen, welche dieser Werke uns wieder begegnen werden." Auch zu Mozarts Zeiten hätten die Opern nach den Premieren oft einige Jahre in der Schublade gelegen und seien dann Schritt für Schritt zu einem fixen Bestandteil des Kanons geworden – oder auch nicht.

Dass die Opernhäuser hierzulande keine Lust aufs Neue hätten, kann man nicht sagen. So wurden in der Saison 2013/14 im deutschsprachigen Raum immerhin 85 zeitgenössische Opern herausgebracht, nur drei weniger als in der Saison zuvor. Aber es scheint sich eben trotz aller Anstrengungen kein echter Kanon neuer Werke herauszubilden.

Ein anderer Verlagsinsider nennt weitere mögliche Gründe für dieses Phänomen: heikle Besetzungsfragen sowie hoch komplexe Partituren, deren Realisierung äußerst aufwendig sein kann. Srnkas Partitur für "South Pole" etwa ist einen halben Meter lang und damit zumindest kalligraphisch ein Meisterwerk.

Am Schluss ist man daher wieder bei der Frage, warum sich die heutigen Komponisten offenbar standhaft weigern, einen echten Gassenhauer zu schreiben. Würde das ihren Werken ein Weiterleben auf breiterer Basis ermöglichen? Alvis Hermanis, dem streitbaren lettischen Regisseur, sind solche Fragen schnuppe. Er betrachtet Opern ausschließlich als Zeugen früherer Epochen. "Moderne Opern braucht niemand, außer Musikkritikern und Komponisten."

(Von Georg Etscheit, dpa/MH)

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