Frankfurt am Main (MH) – Mit "Les Troyens" von Hector Berlioz hat die Oper Frankfurt am Sonntagabend ein gefürchtetes, fünfstündiges Opernschlachtross auf die Bühne gezogen. Musikalisch auf ganzer Linie überzeugend, krankte die bilderreiche Regie von Eva-Maria Höckmayr, die das Kriegsgeschehen um Troja und Karthago aus der Sicht der beiden Hauptfiguren Cassandre und Didon erzählte, bisweilen an assoziativer Überfrachtung.
Mit der Besetzung von 15 der 16 Solisten allein aus dem Frankfurter Ensemble konnte das Opernhaus unter Bernd Loebe einen weiteren Premierenerfolg verbuchen. Lediglich die Partie des Énée wurde mit dem US-Tenor Bryan Register besetzt, der damit nicht nur sein Rollen-, sondern auch sein gelungenes Frankfurt-Debüt gab. Großen Anteil am Erfolg der Premiere hatte, neben der leidenschaftlich singenden Tanja Ariane Baumgartner als Cassandre und Claudia Mahnke als Didon, der amerikanische Dirigent John Nelson. Wie er die gewaltigen Massen an Statisten, Tänzern, Chören und Solisten souverän und farbenreich zusammenführte, sucht seinesgleichen.
Eva-Maria Höckmayr und ihr Bühnenbildner Jens Kilian verlegen das Antikendrama nach Vergils "Aeneas" in die Entstehungszeit der Oper und damit in die beginnende Kolonialepoche. Braune, imperialistische Säulen, die langgezogenen Kanonen gleichen, bebildern eindrucksvoll in beiden Teilen die familiären Machtzentren Trojas und Karthagos. Darüber hinaus unterzieht Höckmayr ihren männlichen Helden Énée einer kritischen Sicht durch die beiden weiblichen Hauptfiguren, durchaus im Sinne des Komponisten. Auch aus Berlioz´ Sicht ist Énée sowohl für den Untergang von Troja verantwortlich, weil er den Warnungen Kassandras nicht vertraut, als auch für den Untergang Karthagos und seiner Königin Didon. Als trojanische Kampfmaschine hört er lieber auf die Anweisungen des toten Geistes Hector als auf seine Geliebte und verlässt Karthago, um Troja in Italien neu zu errichten. Kein Wunder, dass Saskia Rettig ihn und seine trojanischen Mitstreiter in unreife Pfadfinderkostüme mit kurzen Hosen steckt und ihnen martialische Erobererstiefel verpasst. Auch der Einfall Höckmayrs, den angeblichen Helden Énée auf einem Kostümfest als stumpfen Mit-Vergewaltiger zu entlarven, nachdem er seiner Didon bei der Unterwerfung der afrikanischen Truppen geholfen hat – "es ist der Gott Mars, der uns vereint"-, passt in die gut überlegte Sicht.
Was die fünfstündige Aufführung für den Besucher allerdings anstrengend macht, ist Höckmayrs permanenter Einsatz von großer und kleiner Drehbühne und die für sie so typische Überfülle an Einfällen. Kassandras Visionen projiziert sie großflächig auf einen Vorhang, Tänzer begleiten, verdoppeln oder ironisieren das Geschehen, die Drehbühnen wirbeln das sieben Meter hohe trojanische Pferd herum, ständig werden die gigantischen Bühnenteile nach rechts oder links geschwenkt, kurz: weniger wäre hier mehr gewesen.
Wovon man allerdings an diesem Abend nie genug bekommen konnte, war die Klangwucht der hervorragend von Tilman Michael angeleiteten Chöre, in denen neben 100 Frankfurter Choristen auch 20 aus Bratislava rhythmussicher überzeugten.
Und allein, um die beiden hochdramatischen Schlusssequenzen von Cassandre und Didon zu erleben, die sich aus unterschiedlichen Gründen wegen Énée das Leben nehmen, ist den Besuch dieser Inszenierung wert. Ein Opernhaus, das zwei solche Ausnahmekünstlerinnen unter Vertrag hat, kann sich glücklich schätzen. Viel Applaus und Bravorufe spendete das ausverkaufte Haus für Sänger, Solisten, Chöre und Orchester, der Jubel für das Regieteam fiel deutlich verhaltener aus, vereinzelte Buhrufe inklusive.
(Von Bettina Boyens)
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