Berlin (MH) – Auf breiter Front als "Klassikrebell" gefeiert, sorgt der Dirigent Teodor Currentzis international für Aufsehen. Seine radikale Herangehensweise an "heilige Kühe" des klassischen Repertoires wird so überschwänglich gelobt, als habe die Musikwelt dringend auf einen Erlöser gewartet. Im Berliner Konzerthaus hat der Grieche mit seinem russischen Ensemble MusicAeterna vor allem unter Beweis gestellt, dass er das Publikum zu polarisieren vermag. Auf einer Europatournee, die in diesen Tagen von Brüssel über Berlin, München, Mannheim und Dortmund nach Luzern führt, ist die nicht minder provokante Geigerin Patricia Kopatchinskaja als Solistin dabei.
Wohin die musikalische Reise mit Currentzis geht, wurde am Montagabend im Konzerthaus schon bei den ersten Takten der "kleinen" g-Moll-Sinfonie KV 183 deutlich. Das früh vollendete Wunderkind Mozart schrieb sie im Alter von 17 Jahren. Traurigkeit, Dramatik und stürmische Unruhe dringen aus ihr hervor. Der Dirigent setzt hier messerscharfe Akzente, treibt die Streicher an und lässt die Bläser grell hervorstechen. Dieser exaltierten Leidenschaft haftet etwas Rohes, Brutales an. Mit seiner exzentrischen Gestik wirkt Currentzis fast wie ein Einpeitscher. Mozarts vielschichtige Raffinesse, die verhaltene Eleganz im langsamen "Andante"-Satz und das Spielerische des "Menuetto" bleiben dabei leider auf der Strecke.
Patricia Kopatchinskaja ließ dann bei Mozarts Violinkonzert D-Dur KV 218 ihrer komödiantischen Ader freien Lauf. Mit überbordender Fantasie spielt sie das Konzert wie ein kleiner Kobold, der Mozart von hinten an den Haaren zieht und sich dann kichernd hinter einem Busch versteckt. Als Virtuosin beherrscht sie ihr Instrument so perfekt, dass sie sich besonders schrille Töne und andere Eskapaden erlauben kann, ohne die Substanz der Musik zu verwässern. Dem "Andante cantabile" entlockt sie eine zarte Süße, die bei ihr ebenso authentisch wirkt wie die mit einem imaginären Augenzwinkern gespielten Pizzicati.
Kopatchinskajas Interpretation erhält dadurch eine menschliche Dimension, die man bei Currentzis vermisst. Die aus Moldawien stammende Musikerin nähert sich Mozart im Übrigen mit derselben Unvoreingenommenheit wie etwa einem Konzert von György Ligeti, das sie kürzlich mit den Berliner Philharmonikern aufführte. Fast nach Neuer Musik klingt auch die Kadenz, die sie im Mozart-Konzert spielt. Die Zugabe von George Enescu fügt sich zum Schluss ohne stilistische Brüche ins Gesamtbild ihres Auftritts.
Weitaus weniger überzeugt dagegen Beethovens dritte Sinfonie "Eroica", die unter Currentzis artifiziell übersteigert dargeboten wird. In den schnellen Sätzen arbeitet er auf große Effekte hin, während etwa der erhabene "Trauermarsch" befremdlich seelenlos gespielt wird. Der aggressive Elan, den Currentzis auf dem Podium entfesselt, animiert am Ende nicht wenige Zuhörer im ausverkauften großen Saal des Konzerthauses zu begeistertem Beifall und "Bravi"-Rufen. Ein Teil des Publikums hält sich jedoch deutlich beim Applaus zurück.
(Von Corina Kolbe)
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(13.03.2017 – 22:41 Uhr)
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