Wodka, Weib und Teufel – Mussorgskis "Jahrmarkt von Sorotschinzi" an der Komischen Oper Berlin

03. April 2017 - 12:47 Uhr

Berlin (MH) – Saufgelage, Fressorgien, Fleischeslust – und überall lauert das Schreckgespenst des Teufels. Modest Mussorgskis unvollendete Oper "Der Jahrmarkt von Sorotschinzi" ist ein surreales Porträt einer Dorfgemeinschaft in der Ukraine, die unter dem Joch des Aberglaubens steht. Fast 70 Jahre nach der letzten Aufführung in Berlin hat die Komische Oper die vergessene Groteske aus der Versenkung geholt. Die neue Inszenierung von Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky präsentiert sich in einem minimalistisch gehaltenen Bühnenbild, das zur Kulisse für oftmals turbulente Massenszenen mit einem hervorragend agierenden Chor wird.

"Der Jahrmarkt von Sorotschinzi"

"Der Jahrmarkt von Sorotschinzi"

Anders als bei Koskys Vorgänger Walter Felsenstein, der 1948 auf eine Bearbeitung des Opernfragments aus den frühen 1920er Jahren zurückgriff, kommt jetzt die bisher neueste Version von Pawel Lamm und Wissarion Schebalin aus dem Jahr 1932 zum Einsatz. Hinzu kommen – teils vom Chor "a cappella" gesungene – Musikstücke aus Mussorgskis Zyklus "Lieder und Tänze des Todes", etwa als Überleitungen zwischen den drei Akten. Auch der erste Auftritt der Chorsänger, die vor Beginn des ersten Akts mit kleinen Lichtern über die Bühne geistern und eine mystische Schicksalsgemeinschaft bilden, war in dem Spätwerk des 1881 gestorbenen Komponisten ursprünglich nicht vorgesehen.

Die Handlung, die auf einer Erzählung von Nikolai Gogol basiert, ist rasch erzählt. Die Einwohner von Sorotschinzi fühlen sich vom Teufel verfolgt. Aus der Hölle vertrieben, sei der Belzebub zum Säufer geworden und habe dem Schankwirt des Dorfes seinen roten Kittel als Pfand dagelassen, erzählt man sich. Nachdem der Wirt eigenmächtig den Kittel verkauft habe, kehre der Teufel jedes Jahr zurück und versetze die Leute in Angst und Schrecken.

In dieser bedrohlichen Atmosphäre nimmt die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der Bauerstochter Parasja (Mirka Wagner) und dem Burschen Grizko (Alexander Lewis) ihren Lauf. Chiwrja, die Stiefmutter des Mädchens (ausdrucksstark verkörpert von der als Gast engagierten Mezzosopranistin Agnes Zwierko) will diese Verbindung mit allen Mitteln verhindern. Die Xanthippe schikaniert auch ihren ständig betrunkenen Mann Tscherewik, dessen Partie Jens Larsen mit volltönendem Bass interpretiert. Ansonsten ist Chiwrja kein Kind von Traurigkeit und versucht ihren Liebhaber Afanassi Iwanowitsch (Ivan Turšić) mit allerlei Leckerbissen zu bezirzen.

Russische Folkloremusik verbindet sich in dieser Oper mit Chorgesang, ausgelassenen Tänzen und Trinkliedern. Der Teufel tritt in Gestalt von Schweinen auf, die auf Stelzen herumstaksen. Und der liebeskranke Grizko singt sich in herzzerreißend melancholischen Szenen die Seele aus dem Leib. Höhepunkt des Abends ist sicherlich sein Traum von einem wilden Hexensabbat, der von Mussorgskis zur Chorfantasie erweitertem Orchesterstück "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" untermalt wird. Während die sinfonische Dichtung häufig in Konzertsälen aufgeführt wird, ist kaum bekannt, dass Mussorgski sie auch im "Jahrmarkt von Sorotschinzi" verwendete.

Während der Aufführung herrscht auf der Bühne ständig Bewegung, dennoch ist die Oper nicht frei von Längen. Die skurrilen Figuren sind Stereotypen ohne individuelle Charakterzüge, die dem Geschehen eine größere Tiefe geben würden. Die grotesk überzeichnete Momentaufnahme aus dem Leben einer Dorfgemeinschaft enthält kaum ausreichenden Erzählstoff, um den Spannungsbogen der etwa zweistündigen Aufführung aufrecht zu erhalten. Ende gut, alles gut. Parasja und Grizko kriegen sich doch noch, und die böse Chiwrja wird zum Gespött der Leute, die zum Schluss einen flotten Hopak tanzen. Stürmischer Applaus und Bravi-Rufe für Solisten, Chor und das Orchester unter Henrik Nánási, das Mussorgskis humorgeladene Musik markant präsentiert hat.

(Von Corina Kolbe)

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