Die Monster der Fantasie – Strauss' Oper "Frau ohne Schatten"

10. April 2017 - 13:15 Uhr

Berlin (MH) – Ein "Zaubermärchen" schwebte dem österreichischen Dramatiker Hugo von Hofmannsthal vor, als er dem Komponisten Richard Strauss im Frühjahr 1911 seine ersten Ideen für die Oper "Die Frau ohne Schatten" skizzierte. Aus diesen Gedanken entwickelte sich ein inhaltlich und musikalisch hochkomplexes Gemeinschaftswerk mit einer tiefenpsychologischen Dimension, die unverkennbar dem Einfluss Freuds und anderer Seelenforscher jener Zeit geschuldet war. Furchterregende Ungeheuer mit gezackten Fledermausflügeln und bizarre Vogelgestalten bevölkerten jetzt die Bühne der Berliner Staatsoper, wo Strauss' unter der musikalischen Leitung von Ehrendirigent Zubin Mehta aufgeführte Riesenoper das Premierenpublikum am Sonntagabend zu einem Beifallsorkan hinriss.

"Die Frau ohne Schatten"

"Die Frau ohne Schatten"

Die aus einem Geisterreich stammende Kaiserin will in Hofmannsthals Fabel bei den Menschen verzweifelt einen eigenen Schatten und damit Fruchtbarkeit erlangen. Andernfalls droht ihr Ehemann, der von ihrem Vater, dem Geisterkönig Keikobad, verwünscht wurde, für immer zu versteinern. In der Inszenierung von Regisseur Claus Guth beginnt die Geschichte der Kaiserin in einem Krankenbett. Die Monster, die in ihrem Kopf entstehen, lassen zusammen mit Strauss' verstörender Musik eine abgründige Albtraumlandschaft entstehen. Fantasiegestalten, die Bildern von Francisco de Goya und Max Ernst entsprungen sein könnten, umgeben die überragende finnische Sopranistin Camilla Nylund, die in dieser Produktion erstmals in der Titelrolle zu erleben ist.

Die Kaiserin steht unter dem Einfluss einer bösen Amme, die Michaela Schuster mit phänomenaler Darstellungskraft und Stimmgewalt verkörpert. Nicht zufällig erinnert diese Amme, deren geflügelte Gestalt einen bedrohlich überdimensionalen Schatten wirft, an die dämonische "Königin der Nacht" in der "Zauberflöte". Wie in Mozarts Oper stehen sich in "Die Frau ohne Schatten" zwei Paare gegenüber, die gemeinsam einen Weg der Prüfungen und der Läuterung zurücklegen müssen. Schwindelerregende Videoprojektionen begleiten die Kaiserin, als sie ohne ihren Mann (Burkhard Fritz), aber mit der von ihr imaginierten Amme in die Menschenwelt hinabsteigt. Dort treffen beide auf den Färber Barak und seine Frau, denen Strauss ebenso wie dem Kaiserpaar Gesangspartien Wagnerschen Ausmaßes auf den Leib geschrieben hat.

Als kapriziöse Färbersfrau, die der Kaiserin ihren Schatten und ihre ungeborenen Kinder überlassen soll, tritt die schwedische Sopranistin Iréne Theorin als stimmlich ebenbürtiger Gegenpart zu Camilla Nylund auf. Den fast übermenschlich hohen Anforderungen ihrer Rollen zeigen sich beide Sängerinnen hervorragend gewachsen. Eine großartige Leistung bot auch Wolfgang Koch als Barak, der das Publikum noch mehr begeisterte als der stimmlich ebenfalls glänzend disponierte Burkhard Fritz. Die von emotionaler Hochspannung durchzogenen Duette der Paare gehören zu den Höhepunkten der Oper. Roman Trekel, langjähriges Ensemblemitglied der Staatsoper, überzeugte als Geisterbote.

Bevor die Kaiserin, von Mitleid und Gewissensbissen geplagt, den Schatten der Menschenfrau am Ende mit einem verzweifelten "Ich will nicht" ablehnt und dadurch sich und ihren Mann vom Fluch erlöst, haben die Staatskapelle und der Chor unter Mehta eine Herkulesaufgabe zu bewältigen. Dem 80-jährigen Dirigenten gelingt es, während der mehr als dreistündigen Aufführung den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten und Strauss' vielschichtige Partitur in allen komplexen Details eindrucksvoll umzusetzen. Wiederkehrende Leitmotive im Stil Wagners, spätromantische Klangschwelgerei und zugleich auch Harmonien, die auf die Atonalität vorausdeuten, machen die nicht zuletzt wegen der riesigen Orchesterbesetzung eher selten gespielte Oper zu einem besonderen Hörerlebnis. Das Publikum dankte am Schluss mit viel Applaus und Bravi-Rufen, wobei die Regie auch einzelne Buhs einstecken musste.

(Von Corina Kolbe)

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