Schreker-Oper in München als kunsthistorisches Seminar

02. Juli 2017 - 11:32 Uhr

München – Die Programmhefte der Bayerischen Staatsoper sind eigentlich keine Hefte, sondern dicke Bücher. Oft sind sie selbst kleine Kunstwerke, mit klugen Aufsätzen zu den gespielten Stücken und opulenten Abbildungen. Zur Neuinszenierung von Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" anlässlich der Münchner Opernfestspiele, die am Samstagabend im Nationaltheater Premiere hatte, ist der Buchrücken sogar mit Gold überzogen.

"Die Gezeichneten"

"Die Gezeichneten"

Oft erschließen sich die Ideen, die den Inszenierungen zugrundeliegen, erst im Nachhinein, beim Durchblättern in der U-Bahn auf dem Nachhauseweg. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski hatte diesmal mit kunst- und filmhistorischen Anspielungen und Zitaten wahrlich nicht gegeizt: Nosferatu, der Golem, der Elefantenmensch, Cocteaus "La belle et la bete", Frankenstein, aber auch eine Installation von Marina Abramovic und ein Comic des US-Künstlers Art Spiegelman, der sich in seinen "Maus"-Comics auf ebenso schräge wie provokative Art mit dem Holocaust auseinandersetzte.

Sogar der Komponist selbst kam zu Wort, der in einem selbstironischen Aufsatz die Zuschreibungen seiner Verteidiger und Gegner zitiert. Im Jahre 1934, kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, starb Schreker an den Folgen eines Schlaganfalls, seine Opern gerieten in Vergessenheit. Die aktuelle Aufführung ist die erste einer Schreker-Oper nach 90 Jahren an der Bayerischen Staatsoper.

Zumindest eines war klar: Nosferatu, der Golem, Frankenstein, sie alle sind "Gezeichnete" wie Alviano Salvago, der missgebildete und zur Liebe unfähige Künstler-Held von Schrekers 1918 uraufgeführter Oper.

Um seine Ideale von Schönheit und Liebe zu verwirklichen, schafft sich Salvago, ein genuesischer Edelmann der Renaissance, einen geheimnisvollen Ort, das Elysium. Er lädt seine Freunde, eine Gruppe junger Adeliger ein, sich dort ihren Ausschweifungen hinzugeben. Die Sache gerät außer Kontrolle, die Adelsclique feiert im Elysium hemmungslose Orgien, bis hin zum Ritualmord. Um dem Treiben ein Ende zu bereiten, schenkt Salvago sein Werk den Bürgern Genuas, was ihn jedoch nicht vor einer Anklage durch den sittenstrengen Herzog Adorno verschont.

Auf einer anderen Ebene spielt die unerfüllte Liebebeziehung, die sich zwischen Salvago und der ebenfalls sexuell gehemmten Malerin Carlotta entspinnt. Dann aber merkt Salvago, dass sie eigentlich nur sein entstelltes Gesicht malen wollte, und sich dann Tamare, einem Mitglied der Elysium-Clique, hingibt und endlich ihre sexuellen Wünsche erfüllen kann.

Die etwas verschwurbelte Geschichte erzählt Warlikowski mit großem Aufwand an Bühnentechnik, Videoprojektionen und Statisterie in der kühlen Klinik- beziehungsweise Museumsatmosphäre seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Malgorzata Szczesniak. Zeitlich ist das ganze irgendwo in den 20er Jahren angesiedelt. Die Adelsclique kommt als Mafiabande daher, der Herzog betreibt einen Boxstall, und die Bürger Genuas tragen graue Mausmasken.

Die Entschlüsselung dieser Regieeinfälle lenkt jedoch mehr und mehr von der sehr farbenreichen, an Richard Strauss und die Impressionisten erinnernden Musik ab. Am besten wird der Abend ganz am Schluss, wenn die Bühne fast leer geräumt ist und es nur noch um drei Personen geht: Salvago, Tamare und Carlotta, deren Schicksale in einer tragischen Dreiecksbeziehung miteinander verknüpft sind.

Musikalisch war die Aufführung, wie gewohnt, auf hohem Niveau mit beeindruckenden Sängerdarstellern wie Tomasz Konieczny als Herzog, Christoper Maltman als Tamare, dem altgedienten Tenor John Daszak als Salvago und Catherine Naglestad als Carlotta. Sie alle, wie auch Ingo Metzmacher am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, wurden mit buhlosem, verhaltenem Applaus bedacht. Als Warlikowski und sein Team auf der Bühne erschienen, brach ein Duell zwischen Bravo- und Buhrufern aus. Ein zwiespältiger und anstrengender Abend.

(Von Georg Etscheit, dpa/MH)

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