Sieben Orchester machten ihn zum Ehrendirigenten: Herbert Blomstedt wird 90

11. Juli 2017 - 09:15 Uhr

Dresden – Seine Auftritte sind nicht spektakulär und doch in der Musikwelt bis heute ein großes Ereignis. Wenn der Dirigent Herbert Blomstedt in Europa oder Übersee vor ein Orchester tritt, kann man die Spannung bei Musikern und Publikum gleichermaßen spüren. Der Grandseigneur der Dirigentenzunft wird am (heutigen) Dienstag 90 Jahre alt, doch seine Interpretationen sind frisch wie eh und je. "Herbert Blomstedt ist einer der wenigen Dirigenten, die sich im Laufe ihres Lebens immer weiterentwickelt haben. Er geht immer wieder neu an die Werke heran", sagt der Dresdner Cellist Bernward Gruner.

Herbert Blomstedt

Herbert Blomstedt

Gruner durfte 1979 gleich nach seinem Einstieg bei der Staatskapelle Dresden mit Blomstedt auf eine große USA-Tournee gehen. Wochenlang fuhr man mit dem Bus kreuz und quer durchs Land. Der Chef wollte keine Privilegien, nahm wie alle anderen im Bus Platz. Er dolmetschte für die Musiker, kümmerte sich um Kranke und trug älteren Kollegen sogar den Koffer, erinnert sich der Cellist. Blomstedt war 1975 nach Dresden gekommen und blieb zehn Jahre. Dass er noch vor dem Fall der Mauer ein ostdeutsches Orchester übernahm, war eine kleine Sensation. Wie er das Amt dann ausführte, hat ihm höchste Achtung eingebracht.

Blomstedt wurde 1927 als Sohn schwedischer Eltern, eines Predigers und einer Pianistin, in den USA geboren. Von seiner Mutter erhielt er ersten Musikunterricht. Im Kindesalter wäre er nach eigenem Bekunden am liebsten Lokführer geworden. Als Abiturient hatten es ihm Fächer wie Mathematik, Geschichte, Geografie und Sprachen angetan. Auf den Spuren seines Vaters hätte er auch Theologie studieren können. Doch schließlich entschied er sich für die Musik, studierte in Stockholm Geige, später auch Dirigieren unter anderem bei Leonard Bernstein. 1954 gab Blomstedt sein Dirigentendebüt mit den Stockholmer Philharmonikern.

Erste Chefpositionen nahm er beim Orchester in Norrköping, bei der Osloer Philharmonie und dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester ein. Wenn man heute mit Blomstedt über seine Anfänge spricht, berichtet er nicht nur detailliert über jede dieser Stationen. Er ist auch voller Dank dafür, dass er sich dort ein großes Repertoire erarbeiten konnte. 1969 debütierte er bei der Staatskapelle Dresden, die sechs Jahre später seine neue künstlerische Heimat wurde. Nach der für ihn überaus erfolgreichen Zeit an der Elbe machte er das San Francisco Symphony Orchestra zu einem führenden Klangkörper der USA.

1996 kehrte er nach Deutschland zurück, leitete zunächst das NDR-Sinfonieorchester. 1998 folgte die Stelle als Gewandhauskapellmeister in Leipzig. "Herbert Blomstedt ist als Mensch, Musiker und Dirigent eine Ausnahmeerscheinung", sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz. In Leipzig verehre man ihn wohl wie keinen anderen Musiker. Schulz nennt Blomstedt einen "begnadeten Lehrer, ausgezeichneten Zuhörer und sehr guten Ratgeber". Zudem sei er stets auf der Höhe der Forschung: "Das Studium und das Suchen nach Neuem ist seine Leidenschaft."

Tatsächlich beginnt Blomstedt noch heute seinen Tag mit Partitur-Studium. Das ist so etwas wie Frühsport für den Maestro. "In jedem Konzert gibt es Stellen, die ich im Rückblick etwas anders machen würde – auch wenn ich insgesamt zufrieden war", verrät der Schwede. Den möglichen Änderungsbedarf notiert er sich in der Partitur – als Anregung für das nächste Mal: "Das ist ein Work in Progress – man wird nie fertig, auch mit den größten klassischen Werken."

Herbert Blomstedt

Herbert Blomstedt

Es sind Eigenschaften wie diese, die der Dresdner Orchesterdirektor Jan Nast an Blomstedt bewundert: sein phänomenales Gedächtnis, seine menschliche Wärme, seine Musikalität. Nast ist froh, dass junge Orchestermusiker noch immer von dieser Art des Arbeitens und Musizierens profitieren können: "Diese Generation gibt es bald nicht mehr." Blomstedt sei ein "nobler, charmanter und bescheidener Ausnahmekünstler, der mit Gelassenheit und Frische, auch mit Disziplin und Fleiß, aber nie mit Routine zu Werke geht" und so Ansporn und Vorbild sei – nicht nur unter musikalischen Gesichtspunkten, betont Sprecher Matthias Hain von den Bamberger Symphonikern.

Der Maestro bleibt bei allem Lob bescheiden: "Ich war immer geprägt von Selbstzweifeln. Ich habe mir stets die Frage gestellt, ob ich gut genug bin, um ein Orchester anzuführen." Auch bei Proben frage er sich heute noch, ob er ausreichend vorbereitet sei, um den Musikern etwas zu geben: "Wenn ich merke, dass das Orchester dankbar für meine Anwesenheit ist, beflügelt mich das sehr." Nie habe er sich für eine Chefposition beworben. Dass die Orchester bei ihm anfragten, sei gut für das Selbstgefühl gewesen. Er sehe seine Aufgabe darin, "dass die Musik möglichst viel sagt und ich möglichst wenig".

(Von Jörg Schurig, dpa/MH)

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