Salzburg – Markus Hinterhäuser (59) residiert als neuer Intendant der Salzburger Festspiele in einem noch ziemlich provisorisch eingerichteten Büro. Unter Gerard Mortier, Intendant von 1991 bis 2001, hatte der ausgebildete Pianist Hinterhäuser die Avantgarde-Reihe "Zeitfluss" konzipiert. Danach war er für die Konzertsparte verantwortlich, für ein Jahr Interimsintendant und Chef der Wiener Festwochen.
Frage: Der Beginn Ihrer Intendanz nach unruhigen Jahren mit diversen Intendantenwechseln ist mit außerordentlich hohen Erwartungen befrachtet. Wie gehen Sie damit um?
Antwort: Ich weiß, dass es diese Erwartungen gibt. Das ist nicht immer vitalisierend, es kann auch ganz schön hemmen. Vor allem, wenn die Erwartungen in umgekehrtem Verhältnis zu den Möglichkeiten stehen.
Frage: Sie sind selbst Pianist, haben sogar zwei Auftritte bei den diesjährigen Festspielen. Hat es der Künstlerintendant leichter als ein reiner Kulturmanager?
Antwort: Die Frage habe ich mir nie gestellt. Aber es ist sicher nicht von Nachteil, wenn man die "Gegenseite" kennt. Ein Programm zu machen, hat viel mit Psychologie zu tun, vor allem, wenn man Künstler zu Neuem animieren will.
Frage: Sie gelten als innovativer Programmplaner, der dem Tourneezirkus und seinem programmatischen Einerlei Paroli bieten möchte. Aber bei genauerem Hinsehen hat die oft beschworene Salzburger Exklusivität dann doch ihre Grenzen.
Antwort: Hundert Prozent Exklusivität wäre bei allein 85 Konzerten etwas viel verlangt. Wir müssen uns natürlich auch nach den Künstlern richten, die oft nach bestimmten Prinzipien arbeiten. Der große Pianist Grigory Sokolov etwa spielt ein ganzes Jahr immer das gleiche Programm. Und wenn wir die Berliner Philharmoniker wollen, bringen die natürlich mit, was sie gerade einstudiert haben. Aber es gibt sehr viel Eigenes, vor allem im Konzertbereich, etwa das Salzburg-Debüt des Pianisten Igor Levit, der erstmals Dmitri Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen spielt.
Frage: Was ist der rote Faden im Programm Ihrer ersten Saison?
Antwort: Ausgehend von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "La clemenza di Tito" beschäftigen wir uns mit der Phänomenologie der Macht. Es geht um Strategien der Macht, ihre Zumutungen und Grausamkeiten, aber auch um das Vergeben- und Verzeihenkönnen. Die Einsamkeit der Macht ist Thema in Aribert Reimanns "Lear", während in Schostakowitschs "Macbeth" und Giuseppe Verdis "Aida" sich Macht mehr im zwischenmenschlichen Kontext ausdrückt. Alban Bergs "Wozzeck" ist dann schon fast eine private Passionsgeschichte. Das alles spiegelt sich auch im Theater, etwa in Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" und in manchen Konzerten.
Frage: Verraten Sie uns etwas über den neuen "Jedermann"? Wie modern wird die Inszenierung von Michael Sturminger?
Antwort: Der französische Schriftsteller Paul Valery hat einen wunderbaren Satz geprägt: Das Gedächtnis erwartet die Intervention des Gegenwärtigen. In diesem Sinne, abseits von Zeitgeist und Pseudoaktualität, wird unser neuer "Jedermann" definitiv gegenwärtiger.
Frage: Wollen Sie Aufträge für neue Opern vergeben?
Antwort: Ich halte wenig von dieser Intendantenstatistik: Man ist erfolgreich, wenn man soundsoviel neue Opern gebracht hat. Diese Form des Ritterschlags erschließt sich mir nicht. Ich halte mehr davon, bestehende Werke immer wieder neu zu überprüfen, auch auf ihre Aktualität.
Frage: Sag niemals nie…
Antwort: Wenn sich eine Konstellation ergibt, wenn ich einen Komponisten oder eine Komponistin gefunden habe, für die ich mich begeistere, und wenn ich weiß, warum wir das machen, sofort. Aber Auftragsopern sind nicht das Alleinseligmachende. Und außerdem gibt es so viel Literatur unserer Zeit, die gehört und gespielt werden muss.
Frage: Das klingt nach dem guten, alten Klassikmuseum…
Antwort: Schauen Sie, selbst "Aida", diese Kreuzworträtseloper, wurde bei den Salzburger Festspielen in ihrer fast hundertjährigen Geschichte erst ein einziges Mal gespielt. Und das ist eben keine Monsteroper, sondern ein filigranes Kammerspiel, wo es vieles zu entdecken gibt.
Frage: Ist die zeitgenössische Musik, für die Sie ja selbst stehen, wirklich in der Mitte der Festspiele angekommen?
Antwort: Ich würde mir wünschen, wenn mir diese Frage nicht mehr gestellt würde. Dass es genauso selbstverständlich ist, neue Stücke zu bringen wie Beethoven, Bruckner oder Mahler. So weit ist es noch nicht. Aber es wird auch kein Quotensystem geben. Wir werden mal mehr, mal weniger neue Musik machen. Und ich möchte mich weder für das eine noch für das andere rechtfertigen müssen.
(Interview: Georg Etscheit, dpa)
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