Baden-Baden – Das Gastspiel des St. Petersburger Mariinski Theaters mit Tschaikowskis Oper "Eugen Onegin" gehört zu den Höhepunkten der Sommerfestspiele in Baden-Baden. Die Neuinszenierung dieser, neben Mussorgskis "Boris Godunow" meistaufgeführten russischen Oper, stieß beim Premierenpublikum am Donnerstagabend auf einhellige Begeisterung. Basierend auf dem Versroman des Klassikers Alexander Puschkin entfalten die "Lyrischen Szenen" – so der Titel des Komponisten – eine "Enzyklopädie des russischen Lebens".
Außer einem tödlichen Duell gibt es in diesem Werk kaum oberflächliche Handlung. Das Drama spielt sich in den Gefühlen der Hauptpersonen ab. Bei Puschkin ist die Titelfigur ein leicht zynischer Dandy: "Auf Französisch konnte er vollendet parlieren; leicht tanzte er die Mazurka. Was will man mehr? Die Welt entschied, dass er klug sei und sehr charmant." Kein Wunder dass die Gutsbesitzertochter Tatjana sich in ihn verliebt. Sie wird aber schnöde abgewiesen. Als Onegin Jahre später auf die mittlerweile verheiratete Tatjana stößt, ist alles zu spät.
Die Uraufführung 1879 durch Studenten des Moskauer Konservatoriums war nicht mehr als ein Achtungserfolg. Doch anschließend trat die Oper ihren Siegeszug über die Bühnen der Welt an. Tschaikowskis Musik ist von einer packenden lyrischen Intensität; sie vertieft sich mit einer Fülle eingängiger Leitmotive in die Gefühlswelt der Hauptpersonen. Das Orchester ist relativ klein besetzt; vor allem die dunklen Holzbläser sorgen für poetische Farben. Und dann gibt es in den Ballszenen populäre, schmissige Tänze: Walzer, Mazurka, Polonaise.
Waleri Gergijew und sein Mariinski-Orchester sind absolute Tschaikowski-Experten. "Eugen Onegin" ist für sie eine Herzensangelegenheit. Sie musizieren mit nie nachlassender Spannung und Konzentration. Derbe russische Tänze kontrastieren mit elegischen Pianissimo-Passagen. Und auch der Chor und das Solistenensemble beweisen ihr hohes Niveau.
Bariton Alexei Markow in der Titelrolle singt am Mariinski Theater alle großen Rollen seines Fachs. Sein Onegin findet die perfekte Balance zwischen echter Gefühlstiefe und oberflächlichem Zynismus. Maria Bajankina verfügt über einen jugendlich-lyrischen Sopran, wie geschaffen für die schwärmerische Tatjana. Jekaterina Sergejewa als Olga und Jewgeni Achmedow als Lenski verkörpern anrührend das zweite tragische Paar.
Alexei Stepanjuks Inszenierung ist von sympathischer Zurückhaltung. Er lässt den Hauptfiguren Raum zur Entfaltung. Das gilt auch für Alexander Orlows Bühnenbild. Nur in den Ballszenen lassen sie es so richtig krachen. Die werden zu opulenten Ausstattungsnummern (Choreographie: Ilja Ustjantsew). Und da überwältigen die fantastischen, farbenreichen Kostüme von Irina Tscherednikowa.
(Von Martin Roeber, dpa/MH)
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