Bayreuth – Jubel, Kreuze und ein Rätsel: Richard Wagners Oper "Parsifal" in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg geht bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen in die zweite Runde. Nach der Premiere 2016 war das Spätwerk des Komponisten am Donnerstagabend erneut zu sehen. Diese Oper, die Wagner eigens für das Festspielhaus komponiert hatte, war fast auf den Tag genau vor 135 Jahren am 26. Juli 1882 uraufgeführt worden. Die Reaktionen im Jahr 2017: Donnernder Applaus vor allem für die Sänger und die Musiker unter Dirigent Hartmut Haenchen. Wild gerätselt wurde aber über eine Figur auf einem Stuhl, die fast das ganze Stück über reglos hoch über der Gralskirche hinter einem Gitter saß und das Treiben unten zu verfolgen schien.
Die Gralskirche liegt irgendwo in einem Krisengebiet, Naher Osten, Irak, Syrien. Hier wird der heilige Kelch bewahrt, in dem das Blut Jesu nach seiner Kreuzigung aufgefangen worden sein soll. Die Ritter rund um Titurel und später seinen Sohn Amfortas beschützen das Heiligtum, das Begehrlichkeiten weckt, vor allem bei Klingsor. Um an die Reliquie zu kommen, ist ihm jedes Mittel recht, Waffen ebenso wie List und Verführung. Vor allem auf Parsifal hat es der abtrünnige Ritter abgesehen. Der "reine Tor" soll seine Keuschheit verlieren und der sexuellen Begierde erliegen. Hilfe erhofft sich Klingsor dabei von der Gralsbotin Kundry.
Laufenberg hat seine Inszenierung mit jeder Menge religiöser Symbolik aufgeladen, deren Sinn nicht immer auf den ersten Blick klar wird. Der Beginn erinnert an ein Kirchenasyl. Flüchtlinge schlafen unter bunten Decken auf Feldbetten. Als die Gralsritter dort ihre Riten vollziehen wollen, werden die Schlafenden geweckt und müssen gehen, die Liegen unterm Arm. Ein menschengroßer Corpus Christi wird vom Kreuz abgenommen, in Tücher gewickelt, wieder angehängt und erneut heruntergenommen. Schwer bewaffnete Soldaten tauchen in regelmäßigen Abständen auf und durchsuchen alles, Maschinengewehre im Anschlag. Später wird Amfortas, der Gralsherr, auf einem runden Altar in seinem Blut liegen, mit Dornenkrone und mit den Wunden Jesu stigmatisiert, während im Hintergrund der Gral schimmert.
Klingsor (Derek Walton) erscheint im zweiten Aufzug als Kreuzfanatiker, bei dem die Wände seiner Kammer über und über mit Kruzifixen behängt sind, darunter auch eines, dessen Griff wie ein Phallus geformt ist. Symbol für männliche Dominanz im Christentum? Wie von einem Balkon blickt Klingsor in ein Hamam mit verschleierten Frauen, die sich später in sinnenfreudige Blumenmädchen verwandeln. Sie sollen Parsifal verführen. Doch Kundry verjagt sie und erzählt dem verstörten jungen Mann von seiner Mutter – einer der Höhepunkte der Oper, innig und gefühlvoll gesungen von der Sopranistin Elena Pankratova als Kundry und dem Heldentenor Andreas Schager in der Titelpartie des Parsifal. Donnernder Applaus für die beiden, ebenso wie für den Bass Georg Zeppenfeld, der als Gurnemanz alles daran setzt, Amfortas (Ryan McKinny) zu retten.
Am Ende bleibt von den ganzen Kreuzen nicht mehr viel übrig. Juden, Muslime, Buddhisten und Christen, alle legen ihre religiösen Symbole in einen Sarg. Das Göttliche, so scheint es, ist ganz anders, als es sich die Menschen so vorstellen und vielleicht sieht es so aus wie die merkwürdige Puppe, die oberhalb der Bühne hockt. Kein weißer Mann mit langem Bart, sondern eine gesichtslose Frau im grünlichen Anstaltsanzug, eine beständige Präsenz, die Rätsel aufgibt. Erst wenn alles Religiöse beseitigt ist, gibt es die Erleuchtung. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn auch im Zuschauerraum mit seinen hölzernen Klappstühlen geht noch während der Schlussszene langsam das Licht an.
(Von Cordula Dieckmann, dpa/MH)
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