München – Eine fast fünfminütige Techno-Einlage mit mächtigem Bass-Gewummere hat es so wohl noch nie bei einer Premiere der Bayerischen Staatsoper gegeben. Dazu bot eine junge Balletttruppe einen bizarren Totentanz in Kostümen, die an die Endzeit-Visionen eines Hieronymus Bosch erinnern. Das Publikum im Münchner Nationaltheater nahm den Abstecher in die Berliner Clubszene à la Berghain am Sonntagabend gelassen und spendete begeisterten Applaus für die Neuinszenierung von Giuseppe Verdis auf Französisch gesungener Oper "Les Vêpres siciliennes".
Der dreistündige Opernabend in den düster-opulenten Bühnenbildern von Matthias Koch hätte durchaus das Zeug für eine Kultaufführung gehabt. Hätte nicht der junge Regisseur Antú Romero Nunes die Geschichte vom Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer im 13. Jahrhundert so brav und buchstabengetreu erzählt und die Protagonisten so fantasielos an der Rampe platziert. Eine Idee, was uns das alles noch sagen soll, hatte der zurzeit hoch gehandelte Jungstar augenscheinlich nicht.
Verdis "Les vêpres siciliennes" sind eine Mischung aus süffiger Italianitá und Grand operá mit üppigen Chortableaux und Balletteinlagen nach dem Geschmack der damaligen Pariser Society. Im Mittelpunkt des von Eugène Scribe geschriebenen Librettos steht der junge Freiheitskämpfer Henri, der die sizilianische Herzogin Hélène liebt, deren Bruder von den Franzosen unter deren Gouverneur Montfort getötet wurde. Montfort wiederum entpuppt sich als Henris Vater, was den jungen Mann in einen dramatischen Loyalitätskonflikt stürzt, bis er ins Visier des Terroristen Procida gerät.
Nach einem von Henri vereitelten Attentatsversuch Hélènes auf Montfort gelingt es Henri, seinen Vater zu einem zwiespältigen Gnadenakt zu bewegen. Dafür muss er dessen Vaterschaft öffentlich anerkennen. Die von Montfort angeordnete Hochzeit zwischen Henri und Hélène, die darin etwas blauäugig eine Chance für Frieden zwischen Franzosen und Sizilianern sehen, ist der einzige, kurze Lichtblick dieser hoffnungslosen Oper. Doch das Läuten der Hochzeitsglocken ist zugleich Signal für das finale, von Procida angezettelte Gemetzel, dem die Franzosen restlos zum Opfer fallen.
Statt einer Botschaft wird in München vor allem Augen- und Ohrenschmaus im Stile der katalanischen Zirkustheatertruppe La Fura dels Baus geboten – mit viel schwarzer Teichfolie, wehenden Vorhängen, Opernnieselregen, einem Trapezakt zweier Gehenkter am Bühnenhimmel und einem raffinierten Vexierspiel mit tragbaren Spiegeln. Publikumsliebling des Abends war der uruguayische Bassbariton Erwin Schrott als Procida in einem rätselhaften Inka-Kostüm. Er wandelt sich in der Hochzeitszene zum Techno-Priester und gibt den Startschuss für die wilde Tanzeinlage. Dass er meist viel zu laut und undifferenziert singt, schien seine Fans nicht zu stören. Dagegen bot die US-Sopranistin Rachel Willis-Sørensen als Hélène auch die in dieser etwas präpotenten Aufführung dringend benötigten Zwischentöne.
Dem US-Tenor Bryan Hymel ging im Verlauf des dreistündigen Opernabends offenbar infolge einer gesundheitlichen Indisposition die Puste aus; er spielte stumm, sein Gesangspart wurde von einem Ersatzsänger am Bühnenrand übernommen. Omer Meir Wellber, der Dirigent dieses Abends, behielt die Nerven und steuerte das schwer beladene Opernschiff doch noch sicher in den Hafen.
(Von Georg Etscheit, dpa/MH)
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