Wie klingt der Ostseeraum? – Usedomer Musikfestival feiert 25. Ausgabe

22. September 2018 - 10:10 Uhr

(Korrespondentenbericht)

Peenemünde – Bereits gesundheitlich gezeichnet, doch mit einer geistigen Vitalität, die den ganzen Saal erfasst, dirigierte Kurt Masur vor fünf Jahren Wagners "Tannhäuser"-Overtüre im Peenemünder Kraftwerk. Im backsteinverkleideten Industriekoloss, der 1936 von den Nationalsozialisten für die V2-Waffenschmiede im Norden Usedoms erbaut wurde, spürte der Besucher die Kraft, die vom Dirigenten, der Musik und dem Ort ausgeht: Ein Werk Richard Wagners, einer der Lieblingskomponisten der NS-Führung, aufgeführt in einem "Täterort" wie Peenemünde, dirigiert von Masur, einem "universellen Weltmusiker", wie ihn der Komponist Siegfried Matthus nannte.

Usedomer Musikfestival

Usedomer Musikfestival

Das Usedomer Musikfestival, das am (heutigen) Samstag im Kraftwerk Peenemünde in seine 25. Saison startet, war seit seiner Gründung im Jahr 1994 immer mehr als nur ein Rahmen für exzellente Musik und Musiker. Das Festival, als Kammermusikreihe gegründet, profilierte sich als Podium, das den Ostseeraum von Russland bis Dänemark und deren verschiedene kulturelle und musikalische Traditionen zusammenbrachte. "Aus dem Zusammenführen dieser verschiedenen Strömungen erwächst das, was man vielleicht als nordischen Puls bezeichnen könnte", sagt Festivalmitbegründer und Intendant, Thomas Hummel.

Vor 25 Jahren schrieb Hummel als angehender Kulturmanager seine Diplomarbeit über die Durchführung und Organisation eines Musikfestivals und arbeitete das Thema an den Usedomer Festspielen ab. Dass sich ein Student so seinen Arbeitsplatz fürs Leben schafft, ist eine Ausnahme. Und es ist ein Glücksfall für die Region, weil das Festival in der touristischen Nebensaison zusätzlich Kunstliebhaber auf die Insel lockte und die Musik dem Klischee des "dunkeldeutschen" Nordostens mit Kultur, Frohsinn und Offenheit entgegentrat.

Die dreiwöchige Musikreihe gehört inzwischen zu den größten Themenfestivals in Europa, wie Intendant Hummel sagt. Normalerweise dauern Themenfestivals nur vier bis sieben Tage. Langzeitfestivals – wie das auf Usedom – verpflichten sich in der Regel auf keinen inhaltlichen Fokus. Das Usedomer Musikfestival ist auch deshalb eine Besonderheit, weil es binational angelegt ist – mit Aufführungen im deutschen und polnischen Teil der Insel.

Mit Estland hatte das Festival 1999 seinen ersten Länderschwerpunkt, seitdem rückt alternierend jeder Ostseeanrainer in den musikalischen Fokus der Musikreihe. 2002 wurde das Kraftwerk Peenemünde erstmals zum Konzertsaal. Unter der Leitung von Mstislaw Rostropowitsch führten 250 Musiker aus Russland, Großbritannien und Deutschland Benjamin Brittens "War Requiem" auf. Ein Gänsehautmoment, wer sich daran erinnert.

Das Usedomer Musikfestival verstand sich mit seiner Bindung an den Ort Peenemünde fortan auch als politischer Botschafter. "Die Energie, die in diesem Ort für die Herstellung menschenvernichtender Waffen produziert wurde, in eine Energie umzuwandeln, die Kulturen zusammenbringt", formuliert Hummel das Anliegen der Peenemünder Konzerte. 2008 gründete das Festival zusammen mit der Nord Stream AG ein Jugendorchester mit Musikern aus dem Ostseeraum, das heute unter dem Namen "Baltic Sea Philharmonic" spielt.

Politiker wie Altkanzler Gerhard Schröder und Michail Gorbatschow oder auch die schwedische Königin Silvia kamen nach Peenemünde. In diesem Jahr wird erstmals Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Peenemünde besuchen. Ein Novum auch, dass der Bund das Festival unterstützt. Mit 150.000 Euro fördert er erstmals die deutschen Konzerte des "Baltic Sea Philharmonic", das seine "Nordic Pulse Tour" Anfang der Woche im italienischen Meran startete. Hummel sieht das Engagement des Bundes als Bestätigung der langjährigen Arbeit.

Im Jubiläumsjahr bricht das Festival mit seiner bewährten Tradition, ein Schwerpunktland in den Mittelpunkt zu stellen. In diesem Jahr trifft unter dem Motto "Zehn Länder – ein Meer" schwedischer Jazz auf russische Kammermusik, estnische Choräle, dänische Kantaten und deutsche Symphonik.

(Von Martina Rathke, dpa/MH)

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