Innerhalb weniger Jahre hat sich das Musikfestival PODIUM in Esslingen zu einer renommierten Veranstaltungsreihe entwickelt. Was 2009 als Projekt von Musikstudenten begann, wird nicht nur vom jüngeren Publikum geschätzt. Es hat auch reihenweise Preise kassiert, unter anderem den ECHO Klassik. Organisiert wird es immer noch von einem unabhängigen Team. Mitten in den Vorbereitungen zur vierten Saison (13. bis 21. April 2012) gab der künstlerische Leiter und Mitgründer des PODIUM Festivals, der Cellist Steven Walter, dem Nachrichtenmagazin musik heute das folgende Interview.
musik heute: Wer ist Eure Zielgruppe?
Steven Walter: Wir bieten eine große Vielfalt unterschiedlichster Formate, die oft ganz verschiedene Zielgruppen ansprechen. Die Musik hat potentielle Relevanz für alle in der Gesellschaft. Dabei erreichen wir auch gezielt die mit dieser Kunstform nicht unbedingt sozialisierten und für die Nachhaltigkeit unserer Zunft enorm wichtigen jüngeren Zielgruppen.
musik heute: Woher bekommt Ihr die Ideen für immer neue Konzertformate?
Steven Walter: Als künstlerischer Leiter bin ich für die Programme und also auch die Konzertformate verantwortlich. Ganz vieles entsteht dabei aber im Team, da wir in flachen Hierarchien arbeiten.
musik heute: Wie setzt sich dieses Organisationsteam zusammen?
Steven Walter: Unser Team ist sehr vielseitig und interdisziplinär. Es sind Studenten aus allen möglichen Fachrichtungen – von Management über Philosophie bis natürlich zur Musik. Aus dieser Vielzahl verschiedener Denk- und Arbeitsweisen schöpft das Team seine große Kraft. Außer einer kleinen Bürostelle in Esslingen leben wir dezentral in Deutschland (und auch im Ausland) verteilt und arbeiten über virtuelle Plattformen zusammen.
musik heute: Kommt daher das Wort "europäisch" im offiziellen Festival-Namen "PODIUM – Junges Europäisches Musikfestival Esslingen"?
Steven Walter: Wir sehen uns im Grunde als Netzwerk, als pan-europäische Community. Es ist in der Tat eine sehr internationale Truppe, die hier jährlich zusammenkommt. Wir erleben immer wieder die unerklärliche Fähigkeit der Musik, Menschen unterschiedlichster Herkunft zu verbinden. Das ist auch ein Kerngedanke des Festivals.
musik heute: Wie ist das PODIUM Festival ursprünglich entstanden?
Steven Walter: Das erste PODIUM Festival Esslingen im Jahre 2009 war ein schlichtes, kleines studentisches Projekt mit einigen Musikerfreunden. Inspiriert von einer ähnlichen Initiative in Norwegen, wollten wir einfach einmal in Unabhängigkeit eigene Programme und Ideen verwirklichen. Es war ein Lustprojekt – und ist es auch geblieben.
musik heute: Dabei wird es jedes Jahr größer und hat schon zahlreiche Preise wie den ECHO Klassik bekommen. Habt Ihr mit so einem Erfolg gerechnet?
Steven Walter: Wir sind in der Tat überwältigt von der Anerkennung der letzten Jahre. In nur drei Jahren haben wir acht Preise eingeheimst – das ist schon Wahnsinn, ändert aber nichts an unserer sehr basisnahen Arbeit. Die Auszeichnungen bestärken uns vielmehr darin, diesen nicht immer leichten Weg genau so fortzuschreiten. Ein gesundes und nachhaltiges Wachstum ist dabei wesentlich.
musik heute: Von Anfang an bietet Ihr auch Musikvermittlungsprogramme. Warum ist Euch das wichtig?
Steven Walter: Wie bereits erwähnt, ist uns die Durchdringung aller gesellschaftlichen Schichten mit dieser Musik sehr wichtig. Da kann und darf die junge Generation – für die man freilich ganz eigene Programmformate macht – nicht fehlen. Dabei betrachten wir diese jungen HörerInnen nicht nur als Zukunftssicherung. Sie sind nicht das Publikum von morgen, sondern von heute – und ein sehr gutes und anspruchsvolles Publikum.
musik heute: Wie seht Ihr die Zukunft der sogenannten klassischen Musik?
Steven Walter: Musik – und somit auch die sogenannte klassische Musik – wird auch in Zukunft genau das sein, was es jetzt ist und schon immer war: eines der wichtigsten und wertvollsten Dinge im Leben von Menschen. Die Musik ist nicht das Problem – wir sind das Problem. Die Frage wird sein, ob es unserer und zukünftigen Generationen gelingt, überkommene Strukturen, Selbstbilder und Denkweisen aufzubrechen. Alles andere macht die Musik (wenn sie denn gut ist) von selbst – sie muss nur in einem lebendigen, nicht-musealen Rahmen erklingen.
musik heute: Wie findet Ihr die Musiker, die bei Euch auftreten?
Steven Walter: Die junge Musiker-Generation ist untereinander sehr gut vernetzt. Da ist fast jede Person irgendwie über einen Link erreichbar. Inzwischen haben wir uns einen so guten Namen gemacht, dass es kaum noch Überzeugungsarbeit braucht, die Musiker zum Festival zu locken.
musik heute: Wenn morgen eine große Agentur käme und die Organisation des Festivals übernehmen wollte, dann würdet Ihr…?
Steven Walter: … eine klare Absage erteilen. Die Sache lebt vom freien, nicht kommerziell getriebenen Geist und inhaltlich hohen Ansprüchen. Eine Veräußerung wäre der Selbstmord der Idee. Käme allerdings eine Gruppe motivierter Leute mit der Idee, etwas Ähnliches, Eigenes auf die Beine zu stellen, so würden wir mit Rat, Tat und Ressourcen zur Seite stehen. Wir sehen PODIUM als Pilotprojekt für eine noch viel weiter reichende Aktivierung von Potentialen im Kulturbetrieb.
musik heute: Wie sehen Eure Pläne für die kommenden Jahre aus?
Steven Walter: Strukturell müssen wir konsolidieren, was wir in wenigen Jahren wie im Rausch aufgebaut haben. Künstlerisch gibt es noch unendlich viel zu tun: der Fundus der Musik ist gewaltig und die Möglichkeiten für packende, bewegende Konzerte unbegrenzt. Inhaltlich wollen wir nicht viel größer werden – das Potential liegt in der Vervielfältigung der hier entwickelten Pionierarbeit. Dazu startet mit einigen Partnern bald ein großes internationales Projekt, das sicher von sich hören machen wird…
(Die Fragen stellte Wieland Aschinger.)