Große Operette auf kleiner Bühne: "Moskau Tscherjomuschki" in der Berliner Staatsoper

09. Mai 2012 - 09:03 Uhr

Sascha und seine Kollegin Lido führen eine Besuchergruppe durch eine Ausstellung. In dem Gewimmel trifft er sich mit Mascha. Gestern waren sie im Kaufhaus, davor im Café. Immer können sie sich nur an öffentlichen Orten sehen, dabei sind sie längst verheiratet. Doch ein eigenes Heim haben sie noch nicht.

Lido und Boris

Das Thema Wohnungssuche ist scheinbar immer aktuell. Egal ob heute, vor 20 Jahren oder 1958, als Dmitri Schostakowitsch darüber seine einzige Operette komponierte. Damals lebten in Moskau oft mehrere Familien in einer Wohnung. Deshalb wurden am Rande der Stadt Neubausiedlungen hochgezogen, darunter das tatsächlich existierende Tscherjomuschki. Glücklich konnte sich schätzen, wer einen Zuweisungsschein erhielt. Damit waren aber längst nicht alle Probleme gelöst.

Auch Boris wartet auf eine Wohnung. In der Ausstellung trifft er seinen alten Kumpel Sergej wieder, den Chauffeur des Funktionärs Drebednjow. Als Boris Lido begegnet, ist er Hals über Kopf in sie verliebt. Lidos Vater berichtet, dass ihr altes Haus eingestürzt ist. Kurz darauf bringt Sergej die Nachricht, dass ihnen eine Wohnung in Tscherjomuschki zugewiesen wurde. Auch Sascha und Mascha erhalten einen Schein. Boris überredet Sergej, sie alle mit Drebednjows Dienstwagen an den Stadtrand zu fahren.

In Tscherjomuschki angekommen, will der Hauswart die Schlüssel nicht herausgeben. Dann taucht sein Chef auf, der Funktionär Drebednjow. Dieser lässt – angestachelt von seiner Frau – zwei Wohnungen zu einer größeren zusammenlegen. Dadurch würden Lido und ihr Vater auf der Straße stehen. Doch das lassen sich die jungen Leute nicht gefallen. Und die anderen Mieter kommen ihnen zu Hilfe…

Intensive Darsteller und ein hinreißender Chor

Die Berliner Staatsoper hat die große Operette für eine kleine Bühne bearbeitet. In der Werkstatt des Schillertheaters sitzen die Zuschauer wie an einem Laufsteg zu beiden Seiten des Geschehens, werden teilweise sogar in die Handlung mit einbezogen. Auf solch kurze Distanz müssen die Sänger sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugen, was ihnen auch gelingt. Besonders sympathisch kommen Lido (Evelin Novak) und Boris (Kap-Sung Ahn) herüber, die trotz ihrer Verliebtheit nicht recht zusammenkommen. Köstlich gezeichnet sind Lidos Vater (Andreas Neher) und Hauswart Barabaschkin (Bernhard Hansky). Wie Geister, die die Ereignisse kommentieren – und manchmal augenzwinkernd beeinflussen – wirken dazwischen eine zauberhafte Ballerina in Weiß (Tatjana Zemann) und ihr schwarzgekleideter Partner (Marten Baum, beide von der Staatlichen Ballettschule Berlin).

Chor der Mieter

Die heimlichen Stars der Inszenierung sind aber die 23 Jugendlichen. In graue Anzüge gekleidet, übernehmen sie immer wieder andere Rollen. Erst sind sie die Besuchergruppe in der Ausstellung, dann der Chor der Bauarbeiter und die neuen Nachbarn in Tscherjomuschki. Mit ungeheurer Konzentration hält jeder und jede Einzelne die Spannung ihrer Rollen. Denn in der grauen Masse sind sie alle Charaktere mit bestimmten Funktionen. Doch ohne egoistische Starallüren schaffen sie gemeinsam etwas Größeres und sind den Hauptfiguren ganz wunderbare Partner.

Die 14- bis 21-Jährigen sind intensive Darsteller und ein hinreißender Chor. Einige sind Mitglied im Jugendclub der Staatsoper, doch viele von ihnen stehen das erste Mal auf einer Opernbühne. Sie stammen aus verschiedenen osteuropäischen Ländern und wurden in Berliner Schulen angesprochen. Seit Herbst wurden sie musikalisch und szenisch geschult. Anfangs in wöchentlichen Workshops, haben sie im Monat vor der Premiere (02. Mai) täglich an der Inszenierung gearbeitet, zum Schluss jeweils von 10 bis 19 Uhr. Daneben sind sie zur Schule gegangen, einige machen gerade das Abitur. Der Einsatz hat sich gelohnt, was die Zuschauer mit Szenen- und begeistertem Schlussapplaus bezeugten.

Bis zum Beginn der Vorstellung ist die Werkstattbühne ein kahler Raum, in dem graue Abflussrohe stehen und von der Decke hängen. Aber diese Sänger – die jungen und die ganz jungen – lassen in der Fantasie des Publikums die verschiedenen Schauplätze entstehen, bis hin zum Zaubergarten im letzten Bild. Und noch auf dem Heimweg klingt der Chor nach: "Tscherjomuschki, Tscherjomuschki …"

Die weiteren Aufführungen bis 17. Mai sind leider schon ausverkauft. Eine Wiederaufnahme wäre mehr als wünschenswert.

(wa/tr)

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Link:

http://www.staatsoper-berlin.de/

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