München (MH) – Soll man am Applaus die Akzeptanz messen, wenn eine Oper auf erschreckende Weise ins Hier und Heute passt und wohl genauso viel Entsetzen darüber herrscht wie Begeisterung über eine beeindruckende Premiere? Stefan Herheims Inszenierung von Benjamin Brittens 1945 uraufgeführter Oper "Peter Grimes" an der Bayerischen Staatsoper ist ein großer Wurf – und gerade deswegen aktuell angesichts des Ukraine-Kriegs in seiner Überzeugungskraft schwer erträglich.
Schließlich hatte Britten das Werk als Pazifist im US-amerikanischen Exil geschrieben. Dass Staatsopernintendant Serge Dorny vor der Aufführung am Sonntag an den Wert von Freiheit und Demokratie erinnerte und das Publikum im Stehen Beethovens "Ode an die Freude" erlebte – ein denkwürdiger Moment. Wie auch die Tatsache, dass wegen Corona-Erkrankungen niemand aus dem Regieteam den tosenden Schlussapplaus auf der Bühne entgegennehmen konnte.
Herheim erzählt in seiner ersten Regiearbeit im Haus am Max-Joseph-Platz die tragische Geschichte um Urteil, Vorurteile und die Ausweglosigkeit um Peter Grimes in starken, teilweise surrealistischen Bildern. Das graue Tonnengewölbe auf der Bühne kann ebenso Kathedrale wie Fischauktionshalle sein, ist aber immer ein Ort des Scheiterns aller Humanität. Beleuchtungseffekte verdeutlichen den Sog in die Ausweglosigkeit, dem der von den eignen fixen Ideen und abweisender Dorfgesellschaft gefesselte Protagonist ausgesetzt ist.
Ebenfalls ein großer Wurf ist die Besetzung. Stuart Skelton hat viel Erfahrung mit der Rolle des Peter Grimes und formt mit makelloser Stimmführung eine nuancenreiche, maniehafte Charakterstudie des Fischers. Rachel Willis-Sørensen ist eine um Peter eindrucksvoll pädagogisch bemühte, aber hilflose Ellen Orford mit überzeugender musikalischer Gestaltung, Iain Paterson ein glaubwürdiger Balstrode. Stellario Fagone hat den Chor auf die wichtige Rolle als stigmatisierende Dörfler perfekt vorbereitet, der Chor gibt dem Handlungsverlauf so immer wieder wuchtige Dynamik. Edward Gardner leitet das Staatsopernorchester souverän und lotet die Feinheiten der Partitur ebenso aus wie die großen dramatischen Ausbrüche.
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(mk/wa)
(Redaktionshinweis: Die Berichterstattung erfolgte anhand des Livestreams.)
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