Sergiu Celibidache – Das Wesen der Musik

26. Juni 2012 - 08:29 Uhr

Mittwoch, 27. Juni 2012 / 21:45 – 22:40 Uhr
ARTE

Dokumentation (Deutschland 2011, Erstausstrahlung) Für Sergiu Celibidache offenbarten sich im Musikmachen die größten Geheimnisse des Seins. Kompromisslos gegenüber anderen, aber vor allem gegen sich selbst, verfolgte er die Umsetzung dieser Vision. Aus der Überzeugung, dass der Moment eines geglückten Konzerts nicht wiederholbar sei, verweigerte er sich den Regeln des Musikbetriebs und hinterließ keine Studioaufnahmen. Das machte ihn zu Lebzeiten zum großen Sonderling – aber auch zu einer Legende, die bis heute nichts an ihrer Faszination verloren hat.

Sergiu Celibidache

Der Film zeichnet ein bewegendes Bild des legendären Dirigenten. Regisseur Norbert Busè ist dabei auf eine kleine Sensation gestoßen: In den Archiven der Musikhochschule in Berlin hat er Celibidaches Lebenslauf entdeckt, den dieser um seiner Karriere Willen gefälscht hat. Daneben steht auch der stets unnahbar wirkende Mensch im Mittelpunkt: Erstmals äußern sich Celibidaches Schwester und sein Sohn Serge, dessen eigenes filmisches Porträt seines Vaters in Ausschnitten als TV-Premiere zu sehen ist. Es ist das Porträt eines Dirigenten, der wie kaum ein anderer Analyse und Leidenschaft, Rücksichtslosigkeit und Anteilnahme vereinte – ein Maestro furioso.

Sergiu Celibidaches Karriere beginnt mit einer Sensation: Mit gerade einmal 33 Jahren wird der rumänische Emigrant nach dem Zweiten Weltkrieg im zerstörten Berlin Chef der Berliner Philharmoniker. Aus dem Nobody, der über nahezu keine Praxiserfahrung verfügt, wird über Nacht ein Star, dessen emotionsgeladene Aufführungen bald international für Furore sorgen. Doch Celibidaches Schonungslosigkeit in der Durchsetzung seiner musikalischen Vorstellungen wird ihm zum Verhängnis: Als Wilhelm Furtwängler, den er während dessen "Entnazifizierung" vertrat, stirbt, entscheidet sich das Orchester gegen Celibidache und für Herbert von Karajan, der perfekt mit den Medien zu spielen und sich zu inszenieren weiß.

Doch wie in allen Wendepunkten im Leben des Wahldeutschen Celibidache liegen auch hier Tragik und Triumph nahe beisammen. Anstatt zu verzweifeln oder sich anzupassen, arbeitet er umso radikaler an der Verwirklichung seiner Ideen. Ruhelos bereist er in den Fünfzigern und Sechzigern des 20. Jahrhunderts als gefragter Gastdirigent die Welt. Während eines Konzerts in Venedig kommt es zu einem Erlebnis, das ihn grundlegend verändern wird. Auf diesen mystischen Moment, in dem Anfang und Ende miteinander verschmelzen, arbeitet er fortan wie ein Besessener in Proben, Aufführungen und in seinen Meisterkursen hin. Das macht seine Konzerte für seine wachsende Fangemeinde zu einer Art Messe, und ihn selbst für seine Schüler zum Guru, der sich mit Reinkarnation und Zen-Buddhismus beschäftigt.

Aber auch als er sich für seine Studien in einem Landhaus bei Paris einen malerischen Zufluchtsort schafft und als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker in den 1980ern endlich jene Anerkennung erfährt, die ihm am Anfang seines Werdegangs so plötzlich verwehrt wurde, bleibt er ein Suchender, nach dem Mysterium des Lebens und der Musik.

Impulsiv und intellektuell, überschäumend und akribisch, gnadenlos und gütig – der große Dirigent Sergiu Celibidache war ein Mensch voller Widersprüche. Er wurde verehrt oder abgelehnt, kalt ließ er aber keinen. Am 28. Juni wäre dieser Feuerkopf und Philosoph 100 Jahre alt geworden. Norbert Busè hat sich in Rumänien, Deutschland und Frankreich auf die Spuren des Maestros gemacht und dabei Celibidaches Schwester getroffen, seinen Sohn und Weggefährten wie Daniel Barenboim.

(pt/wa)

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