Eine kurze Geschichte der Filmmusik

07. Juni 2011 - 21:05 Uhr

Von Frank Strobel, Dirigent und Leiter der Europäischen FilmPhilharmonie

Wenn man die Geschichte der Filmmusik von ihren Anfängen bis heute betrachtet, hat man es eigentlich mit zwei Fragen zu tun: Was ist in der Filmmusik passiert? und: Wie ist man mit der Filmmusik umgegangen?

Die Anfänge: Gar nicht so stumm

Filmplakat "Die Ermordung des Herzogs von Guise"

Die ersten 35 Jahre des Kinos waren eine sehr musikalische Zeit. Da man die Musik nicht auf eine Tonspur bannen konnte, wurde sie immer live von Orchestern gespielt. Der klassische Kino-Pianist war nur die kleine Lösung in den Vorstadtkinos. Es wäre völlig absurd gewesen, einen Stummfilm stumm aufzuführen. Zumal es den Begriff damals gar nicht gab. Man sprach immer von "Film". Das Wort "Stummfilm" entstand erst mit dem Tonfilm, um ihn davon abzugrenzen.

Anfangs hat man die Filme mit sogenannten Kompilationen begleitet. Das waren Zusammenstellungen von Stücken aus dem klassisch-romantischen Repertoire. Später haben Komponisten kurze, treffende Charakterstücke für bestimmte Situationen geschrieben, zum Beispiel "Verfolgungsjagd" oder "erster Kuss". Viele Verlage haben diese "Kinotheken-Musiken" herausgegeben.

Bei den künstlerisch und kommerziell arrivierteren Filmen wurden Originalmusiken in Auftrag gegeben. Deren Komponisten kamen teilweise aus der klassischen Szene. Die erste durchkomponierte Originalmusik war zum Beispiel von Camille Saint-Saens. Auch Honegger und Schostakowitsch haben für Filme geschrieben. Schon seinerzeit entstand der Berufsstand der Filmkomponisten. Diese schrieben einerseits für die Kinotheken und andererseits durchkomponierte Musiken. In Deutschland gab es schon Mitte der 1920er Jahre eine Akademie für Filmmusik. An dieser wurden Kapellmeister ausgebildet, Musiker, Arrangeure, Dirigenten usw.

(Bild: Europäische FilmPhilharmonie)

Dann kam der große Einschnitt: Ende des Stummfilms – Beginn des Tonfilms. Die meisten Musiker wurden arbeitslos, viele mussten sich umorientieren. Manche Komponisten sind in den Tonfilm übergewechselt.

In Deutschland erlebte die Filmmusik einen weiteren großen Schnitt und Aderlass durch das Dritte Reich. Viele Komponisten wie Franz Waxman oder Erich Wolfgang Korngold mussten emigrieren. Sie nahmen die mitteleuropäische Tradition des späten 19. Jahrhunderts mit nach Amerika und begründeten somit den Hollywood-Sound. Die Musiken aus dieser Zeit sind auf einem sehr hohen Niveau. Generell ist es in der Filmmusik genauso wie auch sonst in der klassischen Musik: Retrospektiv weiß man, dass es Werke mit Klasse gibt, die es wert sind gespielt zu werden. Das Gros der Musik dagegen läuft so mit oder wird vergessen.

Entwicklungen nach dem Krieg

Im Westen hat sich die Musik zum Film in den Jahrzehnten nach dem Krieg sehr verändert. Man ging weg von den Orchestern und der symphonischen Tradition, stattdessen kamen Jazz und Rock dazu. "Easy Rider" kann man sich zum Beispiel nur schwer mit einem Symphonieorchester vorstellen. Es hat also auch mit den Themen der Filme zu tun. Die sinfonische Tradition ist damals sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.

(Bild: Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek)

Im Umgang mit der Filmmusik gab es einen großen Unterschied. In Amerika war Film sowieso immer ein kommerzielles Produkt, aber auf sehr hohem Niveau. Man investierte viel, auch in die Music Departements. In Osteuropa hatte man aber ein anderes Verhältnis zum Film und dadurch auch zur Filmmusik. Dort war der Film viel mehr eine Kunst, die siebte Kunst. In der Sowjetunion zum Beispiel hat man den Film ebenso wie die Gemälde in der Ermitage behandelt. In diesen Ländern gab es immer eine sehr gute Filmmusik. Denn dort haben sich auch die hocharrivierten Komponisten nie gescheut, Filmmusik zu schreiben. Ein Mann wie Dmitri Schostakowitsch hat in seinem Leben über 30 Filme vertont. Das war für ihn genauso selbstverständlich, wie er seine Symphonien geschrieben hat. Daneben gab es spezialisierte und sehr gut ausgebildete Filmkomponisten, die auf einem sehr guten Niveau Musik schreiben konnten.

Besondere Situation in Deutschland

In Deutschland hat man nach dem Krieg der sehr emotionalen Kraft eines Orchester misstraut, gerade in Verbindung mit Film. Wenn man die Wochenschauen aus der Zeit des Dritten Reichs betrachtet: Propagandaminister Goebbels wusste genau, wie man mit Musik im Film umgehen muss. Daher war es notwendig, kritisch nach Manipulation und Verantwortung zu fragen. Dazu gab einen großen Diskurs, gerade in den 60er Jahren. In dessen Folge ist man mit großer Vorsicht herangegangen an diese – na ja, es ist ja schon eine Überwältigungskunst.

Dazu kommt, dass es der Film in Deutschland sowieso nie leicht hatte. Auf der einen Seite hatten wir einen sehr arrivierten und auch künstlerisch hochstehenden Film. Nachdem "Opas Kino" für tot erklärt wurde, fand durch den Neuen Deutschen Film eine Gegenbewegung statt. Beispielhaft stehen dafür Regisseur Reiner Werner Fassbinder und der Komponist Peer Raben. Es hat aber eine ganze Weile gedauert, bis man hier wieder angefangen hat, Orchestermusik zu schreiben und zu produzieren.

(Bild: Europäische FilmPhilharmonie)

In den 90er Jahren gab es eine große Welle von Orchesteraufnahmen für Kino- und Fernsehfilme. Ja, sogar für Fernsehfilme. Ich glaube, für diese Entwicklung waren die Stummfilm-Aktivitäten nicht ganz unwesentlich. In dem Bereich passierte gerade in den 80er Jahren eine Menge. In vielen Städten gab es Aufführungen von Filmmusik, aber nicht mehr in den Kinos, sondern den Opern- und Konzerthäusern. Dadurch entstand ein anderes Bewusstsein für die Rolle der Musik im Film.

Als ich in den 80er Jahren anfing, Filmmusik zu dirigieren, wurde ich oft gefragt: "Ja, warum machen Sie das eigentlich?" So nach dem Motto: "Haben Sie das nötig?" Man musste auch Orchester-Musiker mit viel Erklären davon überzeugen, dass Filmmusik einfach hohe Kunst ist. Dieser Dünkel ist mittlerweile fast vollständig verschwunden. Jedes große Sinfonieorchester spielt heute ganz selbstverständlich Filmmusiken, die Berliner Philharmoniker zum Beispiel.

Frank Strobel

Sehr aktiv ist auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Es hat von sich aus schon eine gewisse andere Tradition als Rundfunk-Sinfonieorchester und dadurch sicher eine andere Offenheit. Wir haben vor über 15 Jahren angefangen, miteinander an Filmmusiken zu arbeiten. Die gehen mit dem gleichen Ernst und der gleichen Hingabe an diese Projekte heran, wie an eine Mahler-Symphonie.

http://www.frankstrobel.de/

Mehr zu diesen Schlagwörtern: , , , ,
Print Friendly