Pianistin Susanne Anatchkova: Schon als Kind für Etüden begeistert – Ihr Film "Im Prestissimo" ist eine musikalische Zeitreise

08. Juni 2011 - 10:21 Uhr

Eine Spielfilm-Dokumentation über Klavieretüden zu drehen – für die Pianistin Susanne Anatchkova war das eine Idee, die kontinuierlich reifte. Schon als Kind hatte sie Freude an "schnellen" Stücken. Und nach rund dreijähriger Arbeit veröffentlichte sie 2008 ihren Film "Im Prestissimo – Klavieretüden – eine musikalische Zeitreise". Im Interview mit dem Nachrichtenmagazin musik heute erklärt Susanne Anatchkova, wie sie ihre Idee realisiert hat.

Susanne Anatchkova

musik heute: In Ihrem Film brechen Sie eine Lanze für ein normalerweise bei Klavierschülern wenig gemochtes Genre: die Etüden. – Warum gerade Etüden?

Susanne Anatchkova: "Meine Seele liegt in meiner Technik" lautet ein Zitat des wundervollen Pianisten Wilhelm Backhaus. Daher möchte ich die große Bedeutung der "reinen Fingerübung" für die pianistische Entwicklung und ihren Weg unter der Feder der großen Komponisten zur Kunstform mit diesem Film zeigen. Außerdem ist die Klavieretüde ein dankbares Objekt für das Medium Film. Denn durch die extremen und unterschiedlichsten Bewegungsabläufe der Finger in den Etüden kommt nicht nur das Ohr, sondern auch das Auge des Publikums auf seine Kosten.

musik heute: Wie war Ihr eigenes Verhältnis als Kind zu den Etüden?

Susanne Anatchkova: Ich habe tatsächlich als Kind schon viel Freude an "schnellen" Stücken gehabt und kann mich erinnern, dass ich voll Stolz war, als mir meine damalige Klavierlehrerin die erste Cramer-Etüde und kurz darauf dann die erste Chopin-Etüde zu spielen erlaubte.

Szenenfoto

musik heute: Wann und wie sind Sie – als Pianistin – auf die Idee gekommen, einen Film zu machen?

Susanne Anatchkova: Vor der Idee des Films spielte ich die später für den Film ausgewählten Etüden in mehreren Gesprächskonzerten u.a. im Münchner Gasteig mit der Moderation von Prof. Siegfried Mauser. Der Präsident der Musikhochschule München hat übrigens auch die Rolle des Claude Debussy bei der Szene in Paris übernommen.

Während der Vorbereitung der Texte zu den einzelnen Etüden, in denen ich die Jahrhunderte mit dem geistigen Auge durchwanderte, formten sich so langsam einzelne Bilder und Szenen in mir, so dass sich die Idee des Films daraus entwickelte. Und von dem Zeitpunkt an wollte ich ihn unbedingt realisieren, trotz der vielen Warnungen von allen Seiten, mich nicht auf ein so großes Projekt ohne jegliche Filmerfahrung einzulassen.

musik heute: Sie haben den Film nicht nur konzipiert, sondern haben auch Regie geführt, sind als Schauspielerin aufgetreten und haben (natürlich) Klavier gespielt. War das nicht eine große Mehrfachbelastung?

Susanne Anatchkova: Ja, es war tatsächlich eine große Belastung, für alles zuständig zu sein: Konzept, Regie, Klavierspiel, Schauspiel, außerdem für die vielen organisatorischen Dinge wie Drehorte ausfindig machen, die zeitgemäßen Kostüme und Einrichtungen der Räumlichkeiten beschaffen usw. und nicht zuletzt die vielen Wochen im Schnitt. Dazu musste ich zwischen den Drehpausen immer wieder Konzerte mit völlig anderen Programmen spielen. Es machte aber auch viel Spaß, zum Beispiel wohnten wir während der Dreharbeiten in Paris alle zusammen, Schauspieler, Komparsen, Filmcrew auf einem großen Hausboot auf der Seine, meinem damaligen Zweitwohnsitz.

Susanne Anatchkova in der Rolle der Pianistin Amy Fay

musik heute: In dem Film sprechen Sie bzw. die von Ihnen gespielten Pianistinnen mit den Komponisten. Pascal Dusapin haben Sie tatsächlich und persönlich getroffen. Dagegen wurden die Gespräche mit Czerny, Debussy, Cramer, Liszt, Chopin (natürlich) durch Schauspieler realisiert. Auf welcher Basis sind dieses Dialoge entstanden?

Susanne Anatchkova: Ich wollte die Dialoge mit den verschiedenen Komponisten möglichst authentisch halten. In der Szene am Seine-Ufer in Paris 1910 zum Beispiel basiert das Gespräch mit Claude Debussy rein auf Originalzitaten. Auch der Brief, in dem ich als Pianistin Amy Fay bei der Szene in Weimar meine Studienaufenthalte bei dem großen Franz Liszt beschreibe, ist original. Es gelang mir leider trotz intensiver Nachforschung in den Quellen nicht, geeignete Originalzitate der restlichen Komponisten zu finden. Daher habe ich die Dialoge an diesen Stellen möglichst knapp gehalten.

musik heute: Nach dem Film haben Sie auch vergleichbare Gesprächskonzerte entwickelt?

Susanne Anatchkova: Nachdem der Film fertig war und so gut angekommen ist, habe ich ein medienübergreifendes Projekt gewagt und bereits mehrmals die Klavieretüden live im Konzertsaal gespielt. Dazwischen wurden die einzelnen Spielszenen über Beamer gezeigt. Das wirkte überraschenderweise sehr homogen und wurde vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen.

musik heute: War das für Sie ein einmaliger Ausflug in die Filmarbeit, oder könnten Sie sich vorstellen, wieder einmal etwas zu drehen?

Susanne Anatchkova: Die Idee zu einem neuen Filmprojekt wäre bereits in meinem Kopf vorhanden. Jedoch ist derzeit für ein so großes Projekt keine Zeit. Denn der Etüdenfilm hat sich noch weiterhin auf mein Leben ausgewirkt: Der Kameramann Jan Bosikis, den ich dabei kennenlernte, wurde mein jetziger Ehemann und wir erwarten gerade das zweite Kind. So wäre momentan neben meiner Konzerttätigkeit ein Filmprojekt unmöglich. In ein, zwei Jahren wäre es aber wieder machbar. Reizen würde es mich jedenfalls sehr.

DVD-Cover

musik heute: "Im Prestissimo" ist auch als DVD erhältlich?

Susanne Anatchkova: Ja. Gegenüber der Fernsehfassung enthält die DVD zusätzlich noch ein Bonusmaterial mit einer Partyszene in den 1970er Jahren in New York mit zwei Etüden, in denen Earl Wild Gershwin-Songs bearbeitete.

(Die Fragen stellte Wieland Aschinger.)

BR alpha sendet den Film am 12. Juni 2011 um 22:15 Uhr.
Die DVD kann über die offizielle Homepage bestellt werden:
http://imprestissimo.com/

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