Montag, 10. Oktober 2011 / 22:15 – 23:05 Uhr
ARTE
Dokumentation (Deutschland/2011, Erstausstrahlung) Sie war die Marlene Dietrich der Klassik: preußisch, diszipliniert, unnahbar, geheimnisvoll. Mit ihrer Stimme prägte die 2006 im Alter von 90 Jahren verstorbene Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf die klassische Musik in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Von den einen verehrt, von den anderen für ihre frühe Karriere im Dritten Reich gemieden, bleibt ihre Person bis heute ein Rätsel. Anhand neuer Fakten vermittelt der Film von Thomas Voigt und Wolfgang Wunderlich ein differenziertes Bild der Sängerin.
Das Leben und die Karriere der Elisabeth Schwarzkopf sind voller Widersprüche: Obwohl die Künstlerin im Dritten Reich in ihrer Ausbildung Repressalien ausgesetzt ist – ihr Vater ist Sozialdemokrat – macht sie schnell Karriere und wird zur umworbenen Nachwuchssängerin erster Güte. Nach dem Krieg steigt sie, neben der Callas, zur führenden Sängerin ihrer Zeit auf. Auf der Bühne gibt sie den strahlenden Star. Kaum jedoch ist der Applaus verklungen, wird sie derart unscheinbar, dass ihre größten Bewunderer sie bisweilen nicht erkennen, wenn sie neben ihnen steht.
Elisabeth Schwarzkopf macht keinen Hehl daraus, dass ihre Leistung auf der Bühne und im Aufnahmestudio dem Leben hart abgetrotzt ist. Anlass zu weitreichenden Spekulationen gibt ihre Verbindung mit ihrem späteren Ehemann Walter Legge, dem weltweit führenden Klassikproduzenten der 50er und 60er Jahre. Legge formt ihre Stimme zu einem Markenzeichen; sie selbst bezeichnet sich ohne jeden Anflug von Ironie als "Her Masters Voice", die Stimme ihres Herrn. Legge ist bekannt für seine Affären, Elisabeth Schwarzkopf selbst blockt jede Frage nach ihrem Privatleben ab.
Nach dem Ende ihrer Karriere widmet sie sich der Ausbildung junger Sänger und Sängerinnen. Wer die ob ihrer Strenge gefürchteten Meisterkurse übersteht, hat gute Chancen, Karriere zu machen. Thomas Hampson, Matthias Goerne, Christiane Oelze oder Renée Fleming gehen durch ihre Schule. Doch die Vergangenheit lässt ihr keine Ruhe: In den 80er Jahren zeichnet eine polemische Biografie das Bild einer ehrgeizigen Opportunistin im Dritten Reich und danach. Sie ist tief getroffen, denkt an Selbstmord. Doch wie stets verweigert sie der Öffentlichkeit jeden Blick in ihr Leben.
Jetzt, fünf Jahre nach ihrem Tod, gibt es Antworten und Einsichten: Erstmals erhielt ein Filmteam Zugang zum persönlichen Nachlass von Elisabeth Schwarzkopf und Walter Legge. Die Beschäftigung mit dieser einzigartigen Sammlung von Briefen, Notizen, Fotos und Dokumenten bedeutete für Thomas Voigt und Wolfgang Wunderlich vor allem eines: Bekanntes und Vertrautes mit anderen Augen zu sehen, scheinbar "Verbürgtes" infrage zu stellen, dem "öffentlichen Bild" neue Farben und Facetten hinzuzufügen – sei es durch unveröffentlichte Dokumente und Informationen aus dem Nachlass oder durch die Aussagen wichtiger Wegbegleiter. Auf diese Weise kommt der Film "Elisabeth Schwarzkopf – Porträt einer Sängerin" der zwiespältigen, komplexen Persönlichkeit der Künstlerin so nahe wie nie zuvor.
Update (18.05.2015 – 11:45 Uhr): Der Bildnachweis wurde um die Angabe "Foto: Fayer, Wien" ergänzt. Nach Informationen der Foto Fayer & Co GesmbH ist die Aufnahme von Lillian Barylli-Fayer erstellt worden.
(pt)