Oft regt uns ein bestimmter Musiker an, dass wir sein Instrument zu spielen lernen wollen. Im Zeichentrickfilm kann dieses Vorbild sogar ein Hase oder eine Maus sein. Denn bei aller Komik, die natürlicherweise im "Comic" steckt, sind die Figuren meist erstaunliche Virtuosen. Der Komponist Sergej Rachmaninov sagte, er sei von keinem Pianisten "so gerührt wie von dem großen Maestro Micky Maus", als dieser sein Cis-Moll-Prelude spielte (in "The Opry House", 1929). Und der chinesische Weltklassepianist Lang Lang berichtet, dass ihn der Zeichentrick-Kater aus "Tom & Jerry" für das Klavierspielen begeistert hat. (Click here for the english version.)
Weniger im Rampenlicht stehen die menschlichen Pianisten, die die Zeichentrickfiguren erst zum Klingen bringen. Dabei können die aufwendigen Eskapaden von Micky, Tom und den anderen nur von einem großartigen Klavierkünstler realisiert werden. 1946 spielten sowohl Kater Tom als auch Bugs Bunny mit der Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 von Franz Liszt. Der "unsichtbare Partner" des Hasen war der Pianist Jakob Gimpel. In "Johann Mouse" (über Johann Strauss, 1953) spielte er auch für den Kater. Sein Sohn, der Verleger Peter Gimpel, hat im Gespräch mit "musik heute" erzählt, wie sein Vater die Zeichentrickfiguren zu Klaviervirtuosen machte.
Die Arbeit im Studio
"In 'Rhapsody Rabbit' war Bugs Bunny der Star, er spielte die Rolle das Klaviervirtuosen", erklärte Peter Gimpel. "Sein Auftritt wurde nach dem meines Vaters entwickelt. Deshalb waren wohl alle Beteiligten des Films bei der Aufnahme anwesend, um genau zu wissen, wie das Ergebnis aussehen muss." Insgesamt haben die Musikaufnahmen wohl nur einen Tag gedauert. "Im Kalender meines Vaters steht für den 31. Januar 1946: ’08:00 Uhr – Warner Bros. – Rhapsody Nr. 2 für Cartoon'. Ich denke, er hat die Rhapsodie ein- oder zweimal komplett durchgespielt und dann nach den Anweisungen des Regisseurs die komisch verzerrten Passagen ausgeführt."
Anschließend wurden die Klaviersequenzen des Zeichentricks an die Tonaufnahmen angepasst. Außerdem hat man Jakob Gimpels Hände beim Klavierspielen fotografiert, wahrscheinlich auch gefilmt. "Ich glaube, ich habe sogar einmal Zeichnungen seiner Handhaltungen gesehen, die für 'Johann Mouse' gemacht wurden", sagte Peter Gimpel. "Wenn Tom mit den Hinterpfoten spielt, erinnert es mich manchmal an die Handhaltungen meines Vaters in bestimmten Passagen. Das sieht total lustig aus. Wenn Bugs oder Tom aber mit ihren 'Händen' spielen, sind die Bewegungen übertrieben dargestellt zugunsten des komischen Effekts."
In Wirklichkeit hat Jakob Gimpel ganz anders auf dem Klavier gespielt: "Seine Hände glitten über die Tasten, fast ohne eine wahrnehmbare Bewegung der Finger. Das war zauberhaft. Als Kind war ich davon immer ganz fasziniert", erinnert sich der Sohn. "Man kann das gut in den Konzertausschnitten auf YouTube beobachten. Es ist erstaunlich und schön, das im Film dokumentiert zu sehen. Aber es hätte natürlich nicht für einen Cartoon gepasst."
"Rhapsody Rabbit" war durch und durch als Slapstick angelegt. "Die Liszt-Rhapsodie von Bugs Bunny ist voller komischer Verzerrungen und Unterbrechungen. Dagegen ist 'Johann Mouse' eine süße und clevere Geschichte in quasi-historischer Umgebung und eine wirklich virtuose Aufführung", sagte Peter Gimpel, dessen Vater für diesen Cartoon auch die Musik selbst bearbeitet hat. "Das Arrangement hat er aus der Geschichte entwickelt: Der Kater will Johann Strauss imitieren, um die Maus anzulocken. Bei Strauss denkt man ja sofort an den Walzer 'An der Schönen Blauen Donau', und dieses Stück muss der Kater spielen. Um es komisch zu machen, ließen die Autoren den Kater das Klavierspielen mit einem Buch namens 'Sechs einfach Lektionen' lernen. Dieses enthielt die ersten Noten des Walzer-Themas. Damit erreicht er umgehend das Niveau eines großen Virtuosen. Im nächsten Schritt hat mein Vater eine anspruchsvolle Bearbeitung des Walzers komponiert und für den Zeichentrickfilm aufgenommen."
Jakob Gimpel konnte fantastisch improvisieren und in dem Arrangement für "Johann Mouse" kann man seinen Stil gut erkennen. "Mein Vater improvisierte frei über die verschiedenen Themen und hinterher schrieb er seine bevorzugte Idee auf. Dafür hat er nicht mehr als ein paar Stunden gebraucht. Ich glaube nicht, dass er die komplette 'Schöne Blaue Donau' bearbeitet hat, sondern nur die Teile, die für den Film gebraucht wurden. Zumindest habe ich nur einen Teil der Partitur gefunden. Das ist schade, weil viele Pianisten dieses Fragment bewundert und mich nach der vollständigen Komposition gefragt haben."
Im Abspann von "Rhapsody Rabbit" wurde Jakob Gimpel nicht genannt. "Das geschah auf seinen eigenen Wunsch", erklärte sein Sohn, "denn in der frühen Phase seiner US-Karriere wollte er nicht bekannt werden als 'der Typ, der für Bugs Bunny Klavier gespielt hat'." Bei "Johann Mouse" dagegen erschien Jakob Gimpels Name korrekt als Pianist und Komponist der musikalischen Arrangements. Der Film wurde 1953 mit dem "Oscar" ausgezeichnet.
Das Leben eines Pianisten
Jakob Gimpel wurde 1906 in Lemberg geboren. Die Stadt gehörte damals zu Österreich und heute zur Ukraine. Mit sechs Jahren begann er mit dem Klavierunterricht bei seinem Vater, der Klarinettist im Lemberger Symphonieorchester war sowie Musikalischer Leiter des Theaters und Chorleiter der Synagoge. Schon mit acht Jahren spielte Jakob Gimpel regelmäßig im Theaterorchester. Er studierte Klavier in Lemburg und Wien sowie Komposition bei Alban Berg. Mit 20 Jahren gab er sein Orchesterdebüt mit dem Concertgebouw. Neben Solo- und Orchesterkonzerten tourte er häufig zusammen mit Geigern, unter anderem mit seinem berühmten jüngeren Bruder Bronislaw Gimpel.
1938 emigrierte Jakob Gimpel mit seiner Frau Mimi in die USA, wie viele andere Musiker auch. Von New York zog er nach Los Angeles und ernährte seine Familie zunächst durch Klavierunterricht und Aufnahmen für die Filmstudios. 1947 trat er in dem ersten Filmkonzert der Geschichte auf: "Concert Magic" ("Zauberkonzert"). Diese Aufführung wurde nur für die Kamera inszeniert und neben Jakob Gimpel traten Yehudi Menuhin und andere auf. Der Film wurde 2005 als DVD erneut veröffentlicht.
Vor allem war Jakob Gimpel ein fantastischer Pianist, der phänomenal vom Blatt lesen konnte und ein außerordentliches Wissen auf allen Gebieten der Musikliteratur hatte. Egal welches Stück er spielte, stets fand er die individuellen Charakteristika heraus. Jede Phrase beschrieb er genau, wie er sich vorstellte, dass der Komponist es gewünscht hätte. Dadurch minimierte er seine eigenen Interpretationen. Andererseits war Jakob Gimpel kein großer Vermarkter seiner Kunst. Seine Bescheidenheit war alles andere als hilfreich im Umgang mit Managern. Zum Beispiel musste er trotz seines triumphalen Auftritts in der Carnegie Hall 1948 manche seiner späteren Konzerte in New York sogar selbst finanzieren.
Größere Erfolge feierte er in Europa, wo er ab 1954 häufig spielte. In Hamburg waren fünf Konzerte hintereinander ausverkauft, in Berlin sogar sechs Auftritte. Meistens wurden noch zusätzliche Stühle in den Zuschauerraum gestellt. Allein mit den Berliner Philharmonikern hat er zwischen 1956 und 1959 sechs Mal gespielt, viele seiner Konzerte wurden im Radio übertragen. Zahlreiche Schallplatten wurde aufgenommen. Für seine außerordentlichen Verdienste um die Interpretation der deutschen Musik wurde ihm 1975 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.
In den 1960-er und 1970-er Jahren trat Jakob Gimpel in Europa öfter als in seiner Wahlheimat auf. Doch wenn er in Los Angeles spielte, waren die Konzerte meist ausverkauft. Im Ambassador Auditorium hielt er viele Jahre lang den Rekord der meisten ausverkauften Veranstaltungen. Aller Ruhm, den Jakob Gimpel sich erworben hat, basierte allein seinen musikalischen Leistungen. Er hatte niemals einen Presseagenten oder eine PR-Strategie.
Zwischen seinen Konzerttourneen unterrichtete Jakob Gimpel an der California State University at Northridge. Von 1971 bis 1986 war er dort Professor in Residence. Zu Gimpels Schülern gehörte unter anderem der Filmkomponist Jerry Goldsmith. In dessen Soundtracks zu "Planet der Affen" (1968) und "Der Mephisto Walzer" (1971) spielte Jakob Gimpel später ebenfalls Klavier.
Sein letztes Konzert gab er 1987. Den Auftritt hielt er komplett durch, obwohl er starke Schmerzen in der Schulter hatte. Jakob Gimpel starb am 12. März 1989 im Alter von 82 Jahren in Los Angeles.
Peter Gimpel hat ein hochinteressantes biographisches Essay über seinen Vater geschrieben. Außerdem hat er versucht zu klären, warum 1946 in zwei verschiedenen Studios zeitgleich Cartoons mit der Musik von Liszts Ungarischer Rhapsodie produziert wurden ("Cat Concerto" mit Tom & Jerry sowie "Rhapsody Rabbit" mit Bugs Bunny).
(Von Wieland Aschinger)
http://www.gimpelmusicarchives.com/jakobgimpel.htm
http://www.gimpelmusicarchives.com/catconcerto.htm