Hamburg – Sie gehört zu den weltweit führenden Dirigenten ihrer Generation: Simone Young leitet seit 2005 die Hamburger Staatsoper als Opernintendantin und Generalmusikdirektorin. Anfang Juli verabschiedet sich die 54-Jährige mit einem Wunschkonzert aus der Hansestadt. In Zukunft will die Australierin als freie Dirigentin in England leben.
Das "größte Konzert der Welt" mit 100 Musikern an 50 verschiedenen Orten Hamburgs – mit Simone Young als Dirigentin vom Michel – war nur ein spektakulärer Höhepunkt: Auch sonst liebte die temperamentvolle Australierin in ihrer zehnjährigen Intendanz an Hamburgs Staatsoper die Superlative: In der Inszenierung von Claus Guth brachte sie den kompletten "Ring" auf die Bühne – um dann noch einmal mit dem "Wagner-Wahn" nachzulegen: Alle zehn Opern des Komponisten in drei Wochen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur verrät die scheidende Intendantin, ob sie den "Ring" auch mal gerne in Bayreuth dirigieren möchte, wie Hamburg sie geprägt hat und warum sie wieder mit dem Stricken angefangen hat.
Frage: Frau Young, Sie haben die Staatsoper jetzt zehn Jahre geleitet. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Antwort: Sicher fällt es mir schwer, denn zehn Jahre sind ein großer Abschnitt in einem Leben. Und so lange war ich noch nie in einem Amt und dann gleich in dieser Doppelfunktion als Opernintendantin und Generalmusikdirektorin. Man verbindet mich jetzt mit Hamburg, erst recht, nachdem mich Kultursenatorin Barbara Kisseler zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt hat. Auf der anderen Seite bin ich fest davon überzeugt, dass zehn Jahre eine gute, runde Zeit sind. Die ersten fünf Jahre braucht man, um alle Pläne anzustoßen und die nächsten fünf Jahre hat man, um die Früchte davon zu ernten. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass eine Stadt, ein Orchester, ein Haus nach zehn Jahren neue Impulse brauchen.
Frage: Was werden Sie besonders vermissen?
Antwort: Erstmal meine Sekretärin, die Außergewöhnliches geleistet hat. Außerdem werde ich die Nähe zu meinem Publikum vermissen, ich werde das Orchester vermissen. Wir haben zusammen in den Jahren nicht immer glückliche Zeiten geteilt, aber wenn ich zurückschaue auf die Projekte, die wir verwirklicht haben: unseren Bruckner-Zyklus, unsere Reise nach Australien, unsere "Ring"-Aufnahmen und jetzt die Uraufführung von Beat Furrers "La bianca notte": Das Engagement und die Vielfältigkeit dieses Orchesters sind wirklich einmalig.
Frage: Und was werden Sie weniger vermissen?
Antwort: Labskaus. Ich glaube, das werde ich nirgendwo sonst bestellen. Und das Wetter. Obwohl, ich ziehe nach Südengland: da ist das Wetter nicht deutlich besser.
Frage: Wenn Sie zurückblicken auf ihre Intendanz. Was waren für Sie die besonderen Höhepunkte?
Antwort: Höhepunkte waren sicherlich unser Britten-Zyklus, die Verdi-Raritäten und unser "Ring", auch wenn er umstritten war: Es war trotzdem ein wichtiges Projekt fürs Haus. Und hinterher waren die Vorstellungen immer ausverkauft, was dazu führte, dass wir diesen verrückten "Wagner-Wahn" machen konnten. Und wenn ich nicht als Dirigentin spreche, sondern nur als Opernintendantin: Der Erfolg des internationalen Opernstudios, das immer besser geworden ist. Der Erfolg von unserer Barock-Reihe. Und die Kernwerke des Repertoires wie "Madame Butterfly", "Carmen", "La Traviata", "La Bohème", "Aida" – die wir alle sehr erfolgreich neu inszeniert haben.
Frage: Und woran erinnern Sie sich nicht so gerne? Es heißt, zwischenzeitlich soll es zwischen Ihnen und dem Orchester ganz schön geknirscht haben.
Antwort: Ich glaube, das ist ein bisschen wie in einer Ehe. Es geht manchmal gut, es geht manchmal schlecht. Wenn man zusammenhält durch die schlechten Zeiten, dann kommen auch wieder gute Zeiten. Ich freue mich vor allem, dass die letzten Spielzeiten so harmonisch und so schön gelaufen sind.
Frage: Rückblickend betrachtet: War es eine gute Idee, Opernintendanz und die Stelle des Generalmusikdirektors in eine Hand zu legen?
Antwort: Ja, ich glaube schon. Ich verstehe nicht, warum das so kritisch gesehen wird. Die Konstellation Regisseur und Intendant gibt es seit Ewigkeiten in Deutschland. Warum sollte das nicht auch in der Verbindung Dirigent und Intendant funktionieren? Der Erfolg des Intendanten hängt ja meistens von dem Team ab, das er aufgebaut hat. Und wenn das Team stimmt, dann ist es egal, was er oder sie sonst noch macht. Wichtig ist, dass man sehr diszipliniert sein muss.
Frage: Hat Hamburg Sie verändert?
Antwort: Ja, ich glaube, Hamburg hat mich stärker gemacht. Ich bin selbstbewusster. Ich scheue mich nicht Entscheidungen zu treffen. Das habe ich früher auch nicht gemacht, aber jetzt umso weniger. Ich habe vielleicht gelernt, dass man es nicht allen immer recht machen kann.
Frage: Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Antwort: Ich werde erstmal frei arbeiten und mich nirgendwo fest binden. Mit vielen Orchestern, mit denen ich zusammen arbeiten werde, verbindet mich bereits eine lange Geschichte – wie in Australien und Neuseeland, aber auch in München, Wien, Berlin. Das belebe ich jetzt wieder nach zehn Jahren Pause. Und es kommen neue Herausforderungen hinzu: Japan, China, USA, Orte, wo ich immer "Nein" gesagt habe, weil die Reiserei einfach viel zu viel Zeit gekostet hätte.
Frage: Mit 54 Jahren haben Sie fast alles erreicht, was man als Dirigentin erreichen kann. Haben Sie noch Wünsche? Vielleicht Wagner in Bayreuth als erste Frau dort am Pult?
Antwort: Wer hat nicht diesen Wunsch? Aber ich habe kein starkes Bedürfnis danach. Ich habe wirklich fast alles erreicht, wovon ich geträumt habe. Ein paar Träume habe ich noch, aber die bleiben geheim. Und ein paar Pläne, die nicht unbedingt etwas mit Musik zu tun haben. Zum Beispiel habe ich mir immer vorgenommen: Eines Tages werde ich alle Werke von Proust lesen. Sogar auf Französisch. Dafür brauche ich viel Zeit. Und ich möchte endlich Russisch gut sprechen. Und: Ich stricke wieder! Kann sein, weil ich vor kurzem Oma geworden bin. Ein bisschen mehr Zeit für die Familie möchte ich auch haben.
Frage: Könnten Sie sich vorstellen, noch mal ein Opernhaus zu leiten?
Antwort: Man soll nie "nie" sagen. Aber erstmal werde ich die nächsten Jahre als Gastdirigentin glücklich sein. Und in den Häusern gastieren, wo ich volles Vertrauen in die Leitung habe.
Frage: Sie waren die erste Frau, die an den Dirigentenpulten der Wiener Staatsoper und der Pariser Bastille stand. Glauben Sie, dass es für Dirigentinnen heute leichter geworden ist?
Antwort: Ich glaube, die einzige Möglichkeit, wie ich diesen Berufsweg gehen konnte, war, weil ich dieses Thema immer außen vor gelassen habe. Ich habe mich immer auf meine Arbeit fokussiert. Aber es gibt jetzt eine neue Generation junger Frauen, die ihren Weg gehen werden: Joana Mallwitz in Erfurt, Karen Kamensek in Hannover, Kristiina Poska in Berlin oder die Finnin Susanna Mälkki. Und die sagen – und das nehme ich als großes Lob – sie haben größere Chancen, weil ich auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet habe. Ich glaube, in jedem Beruf, in dem es ungewöhnlich ist, eine Frau zu sehen, muss es immer erst eine Frau geben, die die Tür aufmacht und die zeigt, dass eine Frau durch diese Tür gehen kann. Und wenn sie einmal durch diese Tür gegangen ist, dann bleibt die Tür offen für die anderen.
Frage: Würden Sie gerne noch einmal nach Hamburg zurückkommen? Zum Beispiel für ein Konzert in der Elbphilharmonie?
Antwort: Auf jeden Fall, es gab schon eine Einladung, die aber aus terminlichen Gründen nicht zustande kam. Jetzt wollen mein Nachfolger Kent Nagano und ich über 2017/2018 reden. Ich kenne Kent sehr gut schon seit mehreren Jahren, er ist ein sehr kollegialer Mensch. Und ich freue mich, ihm jetzt dieses Orchester zu überreichen.
Frage: Und worauf freuen Sie sich als Nicht-Intendantin am meisten?
Antwort: Freie Zeit. Das ist das, was ich seit Jahren nicht hatte. Sie können sich kaum vorstellen, wie das ist, wenn man sich zwei Stunden einer Partitur widmen möchte und alle fünf Sekunden taucht eine Frage im Kopf auf, was man noch zu erledigen hat. Befreit davon zu sein, das ist eine riesige Sache für mich. Ich muss aber wohl erst lernen, wie ich mit dieser freien Zeit umgehen werde.
(Die Fragen stellte Carola Große-Wilde, dpa)
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