"Orfeo ed Euridice" wie "Szenen einer Ehe" – Neuinszenierung der Berliner Staatsoper

19. März 2016 - 10:35 Uhr

Berlin – Da ist er schon herabgestiegen in die Unterwelt, aber einen Haken gibt es immer noch. Orfeo hat die brutalen Wächter zwar mit seiner Stimme bezirzt, aber seine Geliebte darf er nur zurück ins Leben mitnehmen, wenn er sie auf dem Rückweg nicht anschaut. Den eigenen Partner auf einer langen Reise keines Blickes würdigen? Man kann sich in etwa denken, wie das endet.

Orfeo ed Euridice

Orfeo ed Euridice

Die Staatsoper Berlin hat die alte Geschichte nun neu inszeniert – mit ein wenig Blut, vielen Brautkleidern und einem Bühnenbild des Stararchitekten Frank Gehry aus Los Angeles. Mit der Premiere eröffneten am Freitagabend die traditionellen Festtage der Staatsoper. Vom Publikum gab es vor allem für Dirigent Daniel Barenboim, das Orchester und den Countertenor Bejun Mehta viele Bravo-Rufe.

Countertenöre – eine besondere Technik ermöglicht es ihnen so hoch zu singen wie Frauen. Mehta singt den Orfeo, und das eineinhalb Stunden ohne Pause. Die Oper von Komponist Christoph Willibald Gluck von 1762 konzentriert sich voll und ganz auf ihn. Und so trauert er schon in der ersten Szene um seine gestorbene Frau (ebenfalls fabelhaft: Anna Prohaska).

Im Hintergrund fackelt ein Feuer, der Chor tritt mit schwarzen Schleiern und weißen Blumen auf. Kurzes Stöhnen in der Sitzreihe. Opern tragen ja gerne mal dick auf, aber das ist dann vielleicht doch etwas viel. Orfeo schmiegt sich das Tüllkleid seiner Geliebten an den Körper und trauert. Dann lässt er sich auf ein Angebot von Amor ein und steigt in die Unterwelt hinab.

Dort tragen die Wächter spitze Mützen wie beim Ku-Klux-Klan. Kerle mit bunten Strumpfmasken prügeln auf Orfeo ein (der singt natürlich weiter), mit Schutzschilden halten sie ihn fern. Im Szenenbild von Architekt Gehry bilden Eisblöcke die Unterwelt, und später sieht man ein abstraktes, buntes Geschachtel – sicherlich das spannendste Element der Bühne. Dies erinnert am ehesten an die Arbeiten von Gehry, der etwa die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, das Tanzende Haus in Prag oder das Guggenheim-Museum in Bilbao entworfen hat.

Als Orfeo seine Geliebte endlich wiederfindet, darf er sie nicht anschauen. Für Intendant Jürgen Flimm, der das Stück inszeniert hat, bedeutet "anschauen", dass er die Finger von ihr lassen muss. "Was doch furchtbar ist. Endlich hat er sie gefunden, und dann darf er sie nicht anschauen", sagte er der "Berliner Morgenpost".

Orfeo ed Euridice

Orfeo ed Euridice

Euridice flippt aus. Wirft mit Kissen. Singt übersetzt in etwa "Der Tod ist mir lieber als mit Dir zu leben." "Diese letzte Szene ist von einer fast erschreckenden Modernität, weil es zwischen den beiden Liebenden heftig zur Sache geht", erklärt Flimm. "Das ist wie in einem Film von Ingmar Bergman. Das sind Szenen einer Ehe, wie es sie in der Oper bis dahin noch nicht gab."

Eigentlich sei die Oper ziemlich spätbarockig, und plötzlich komme ein harter Schnitt, sagte Flimm. Das Ganze haucht dem Stück gegen Ende Leben ein. Das Publikum feiert Mehta mit stürmischem Applaus. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gehört zu den Zuschauern im Schiller Theater, wo die Staatsoper derzeit wegen Sanierungsarbeiten gastiert.

Im Stück jedenfalls zögert Euridice, ob sie Orfeo folgen will. "Ich glaube, dass das auch eine typische Allegorie für die Liebe darstellt", erklärt Sängerin Prohaska im Programmheft. "Du läufst umher und plötzlich verliebst du dich in eine Person, die dein Leben auf einmal verändert und durcheinander bringt." Euridice sage sich, sie wolle diesen Schmerz nicht und bleibe lieber bei den schlafwandelnden Gestalten. Orfeo und Euridice sitzen dann beide in der Unterwelt und streiten. Aber sagen wir es ruhig: Es geht gut aus.

(Von Julia Kilian, dpa/MH)

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