Berlin (MH) – Mit einer konzertanten Produktion von Massenets Oper "Werther" bringt die Deutsche Oper Berlin am (heutigen) Mittwoch die letzte Premiere in der Intendanz von Dietmar Schwarz auf die Bühne. Nach 13 Jahren im Amt verabschiedet sich der gebürtige Schwabe in den Ruhestand. Zu einer zweiten Aufführung des Stücks am Freitag hat sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) angekündigt.
An einer Wand im Büro von Dietmar Schwarz hängt eine riesige Ameisenskulptur. Diese umtriebigen Insekten verkörpern für ihn ein Chaos, das bei genauerer Betrachtung einem System folgt – eine treffende Metapher für den Theaterbetrieb. Neben der Erneuerung des Opernrepertoires ging es ihm vor allem darum, zeitgenössisches Musiktheater zu fördern und ein neues Publikum hinzuzugewinnen.
Schwarz, der zuvor Operndirektor am Nationaltheater Mannheim und am Theater Basel war, wechselte im August 2012 nach Berlin. Nach der langen Ära von Götz Friedrich, Generalintendant und Chefregisseur von 1981 bis zum Jahr 2000, kam er als Nachfolger von Kirsten Harms genau hundert Jahre nach der Gründung der Oper an das Haus in der Bismarckstraße.
Der Tradition der "Bürgeroper", die sich seit ihren Ursprüngen als Gegenentwurf zur repräsentativen Hofoper Unter den Linden versteht, sah sich Schwarz sofort tief verbunden. "Basisdemokratisches Denken ist mir immer wichtig gewesen. Im Zentrum stand hier stets das Bühnengeschehen, nicht der Herrscher in seiner Loge, um den sich alle herumbewegen", sagt er im Interview der Nachrichtenagentur MUSIK HEUTE. "Daraus hat sich in diesem Opernhaus, das nach der Zerstörung im Krieg am selben Ort neu gebaut wurde, eine moderne Vision von Musiktheater entwickelt."
An dieses Ideal knüpfte Schwarz gleich zu Beginn seiner ersten Saison an, die er mit einer Neuinszenierung von Helmut Lachenmanns radikalem Werk "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" eröffnete. Zu den wegweisenden Uraufführungen während seiner Intendanz zählen etwa Aribert Reimanns letzte Oper "L’Invisible", Detlev Glanerts "Oceane" oder Giorgio Battistellis "Il teorema di Pasolini". Erst kürzlich kam noch "Lash – Acts of Love" von Rebecca Saunders heraus.
"Wir haben außerdem das große Repertoire neu aufgestellt, um über die Spielzeiten hinweg bestimmte künstlerische Linien zu verfolgen", sagt er. Manche älteren Inszenierungen von Werken der "Säulenheiligen" Mozart, Verdi, Wagner, Puccini und Strauss blieben auf dem Spielplan, anderes wurde erneuert. Götz Friedrichs legendärer "Ring des Nibelungen" wurde nach 33 Jahren abgesetzt, dafür kam Wagners Tetralogie in der Regie von Stefan Herheim in einer zeitgemäßeren Form auf die Bühne. Boleslaw Barlogs inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert alte Inszenierung von Puccinis "Tosca", die von Friedrich neu einstudiert wurde, ist hingegen weiterhin im Programm.
Zu den Höhepunkten in seiner Amtszeit rechnet Schwarz auch den mehrjährigen Schwerpunkt mit Opern von Giacomo Meyerbeer sowie Wiederentdeckungen aus den 1920er Jahren wie Franz Schrekers "Der Schatzgräber" und Erich Wolfgang Korngolds "Das Wunder der Heliane".
"Ein wichtiger Teil meiner Arbeit bestand auch darin, ein Gesamtkonzept für die Tischlerei (zweite Spielstätte – Anmerkung der Redaktion) zu entwerfen. Auf dieser experimentellen Bühne ist ausschließlich neue Musik in einer großen stilistischen Bandbreite zu erleben", so Schwarz. Diese Werke stehen in einem direkten Bezug zur gesellschaftlichen und politischen Lage in unserer Gegenwart. So handelt das Stück "Negar" von Marie-Ève Signeyrole und Keyvan Chemirani, das 2022 in der Tischlerei zur Uraufführung kam, von jungen Leuten im Iran und ihrem Wunsch nach Freiheit. "Zu der Zeit fanden in Teheran nach dem gewaltsamen Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini heftige Proteste statt", erinnert er sich. "Da wurde einem schlagartig bewusst, wie aktuell Musiktheater sein kann."
In die Zeit von Schwarz fielen auch Vorbereitungen für die wissenschaftliche Erforschung der belasteten Vergangenheit des Opernhauses. Im vergangenen Oktober startete ein gemeinsames Projekt der Humboldt-Universität, der Staatsoper und der Deutschen Oper. Bei der Aufarbeitung der Berliner Opernkultur zwischen 1925 und 1944 wird unter anderem untersucht, wie die Nationalsozialisten die Häuser instrumentalisierten. Schwarz verweist zudem auf die von dem Solopauker Benedikt Leithner initiierte Gesprächskonzertreihe "Wider das Vergessen", bei der von den Nazis verfolgter Opernmitarbeiter gedacht wird.
Was wird Schwarz von den Opernbesuchern besonders in Erinnerung behalten? "Ich denke, dass unser Publikum sehr treu und zugleich kritisch ist. Manchmal kann es im Saal durchaus laut zugehen – das zeugt von einer lebendigen Auseinandersetzung mit dem, was auf der Bühne vor sich geht."
Für die Zeit danach hat er schon Pläne, die er aber erst mal reifen lassen will. "Ich suche eine neue Struktur der Freiheit – wie sie genau aussehen wird, muss sich noch zeigen."
© MUSIK HEUTE. Alle Rechte vorbehalten – Informationen zum ➜ Copyright
(Von Corina Kolbe)
Mehr zu diesem Thema:
➜ Weills Oper von "Stadt Mahagonny" begeistert in Berlin
(17.07.2025 – 22:58 Uhr)
➜ Weitere Artikel zur Deutschen Oper Berlin
Link: