München – In seinem Antrittsjahr 2015 in München hatte es der russische Maestro noch höchstpersönlich auf die Wiesn geschafft. Sein jovialer Auftritt in zünftiger Lederhose auf dem Oktoberfest war gut fürs Image, war Waleri Gergijews Einstand als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker doch von heftigen Dissonanzen begleitet. In einer denkwürdigen Pressekonferenz musste er sich für seine Unterstützung von Wladimir Putins expansiver Außenpolitik und andere Äußerungen rechtfertigen.
Dieses Jahr ließ sich nur Philharmoniker-Intendant Paul Müller auf der Wiesn ablichten, bei der Fahrt im Autoscooter durfte ihn die "Abendzeitung" begleiten. Dabei sprach Müller im Plauderton vor allem über die laufende Jubiläumssaison, die am (heutigen) Samstag mit der Aufführung von Gustav Mahlers alle Dimensionen sprengenden 8. Symphonie ("Symphonie der Tausend") in der Philharmonie im Gasteig ihren Höhepunkt erreicht. Anschließend gibt es zum 125-jährigen Bestehen noch einen festlichen Empfang.
Nach seinem auch musikalisch zuweilen holprigen Start ist Gergijew in München und bei den Philharmonikern angekommen. Die Musiker haben gelernt, die zittrige Zeichengebung des Maestros zu lesen, und Gergijew lässt sich immer bereitwilliger auf deren spezifischen Klang ein, der vor allem in den Symphonien Anton Bruckners zum Tragen kommt. Der Bruckner-Schüler Ferdinand Löwe hatte die Bruckner-Tradition des Orchesters unter anderem mit der Münchner Erstaufführung seiner 5. Symphonie begründet. Seit Sergiu Celibidaches legendären Klangwundern gelten die Münchner Philharmoniker als Bruckner-Orchester schlechthin.
Doch auch mit der Musik Gustav Mahlers kennen sich die Philharmoniker, von ihren Fans liebevoll "Philis" genannt, bestens aus. Gegründet 1893 als Privatinitiative unter dem Namen "Kaim-Orchester" – Franz Kaim war der kunstsinnige Sohn eines Münchner Klavierfabrikanten – erspielte sich der Klangkörper innerhalb weniger Jahre einen solchen Ruf, dass Gustav Mahler ihm 1901 und 1910 – unter eigener Leitung – die Uraufführungen seiner 4. und 8. Symphonie anvertraute. Seither konnte das Orchester der einstigen bayerischen Residenz-, später Landeshauptstadt immer wieder bedeutende Dirigenten an sich binden: Von Felix Weingartner in der Anfangszeit über Oswald Kabasta, Hans Rosbaud, Rudolf Kempe, Celibidache, James Levine, Christian Thielemann und Lorin Maazel bis zu Gergijew.
Das 125-Jährige wird mit einem großen Festwochenende gefeiert. Neben der "Sinfonie der Tausend" am Samstagabend gibt es eine Neuauflage von Gergijews Festival "MPhil 360 Grad", bei dem auch wieder sein Mariinski-Orchester aus St. Petersburg aufspielt. Bei einem Familienkonzert am Samstagnachmittag steht unter anderem Peter Tschaikowskys Publikumsrenner "Der Nussknacker" auf dem Programm. Das Motto der Jubiläumssaison lautet "Brücken bauen" und meint damit laut Müller die Verbindungen zwischen russischem und deutschen Repertoire, wobei auf dem Symposium "Musik Macht Politik – Politik Macht Musik" in der Politischen Akademie Tutzing auch die heikle Politik zur Sprache kam, allerdings ohne Gergijew.
Am Sonntag erinnern die Philharmoniker dann an Werke, die mit der Geschichte des Orchesters verbunden sind: die Ouvertüre von Friedrich Smetanas Oper "Die verkaufte Braut", die im allerersten Konzert aufgeführt wurde, über Paul Hindemiths "Symphonische Metamorphosen", für die Celibidache eigens Glocken gießen ließ, bis zu Bruckners wenig bekanntem "Symphonischen Präludium", das die Münchner uraufgeführt haben.
Und noch einmal Bruckner: Gerade erst feierte Gergijew Erfolge in der Königsdisziplin der Philharmoniker, als er einen vergangenes Jahr begonnenen CD-Zyklus aller Bruckner-Sinfonien, aufgenommen im österreichischen Stift St. Florian, der Begräbnisstätte des österreichischen Komponisten, mit der 2., 8. und 9. Symphonie weiterführte. Die "Oberösterreichischen Nachrichten" lobten das "prachtvoll musizierende" Orchester aus München und die "musikantisch reale" Interpretation des Russen jenseits aller Mystik.
Pünktlich zur Jubiläumssaison hatte Gergijew seinen Vertrag bis 2024/25 verlängert. Die nächste Herausforderung kommt 2020 auf ihn zu, wenn das Orchester wegen der Generalsanierung des Gasteig-Kulturzentrums in eine hölzerne Interimsspielstätte umziehen muss. Das Provisorium bietet Chancen für eine Verjüngung von Publikum und Programm. "Wir wollen experimentierfreudiger werden", sagte Gergijew bei der Vorstellung der Saison im Frühjahr. Mit dem Format "Frack trifft Tracht" wollen das die Philis am Jubiläumswochenende schon mal ausprobieren, zusammen mit Laien-Blasmusikern des Musikbundes Ober- und Niederbayern.
(Von Georg Etscheit, dpa/MH)
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