Berlin – Yehudi Menuhin ist noch keine 13, als er sein legendäres "Konzert der drei B" mit den Berliner Philharmonikern gibt. Das Publikum ist so begeistert von dem Wunderkind aus den USA, dass es den letzten Teil der Violinkonzerte von Bach, Brahms und Beethoven im Stehen hört. "Nun weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt", sagte ein tief berührter Besucher – Albert Einstein.
Am (heutigen) Freitag wäre Menuhin 100 Jahre alt geworden. Konzerthäuser in aller Welt feiern den legendären Geiger mit Jubiläumsaufführungen, die Berliner Philharmoniker widmen ihm eine Ausstellung, und das Berliner Konzerthaus lädt gar zu einer zehntägigen Hommage. Sein Lebenswerk ist mit insgesamt 80 CDs in einer neuen Sonder-Edition erschienen.
Bis heute gehört Yehudi Menuhin zu den beliebtesten und brillantesten Musikern des 20. Jahrhunderts. Als Violinist, später auch als Dirigent, schlug er das Publikum mit seinem beseelten Zugang zur Musik in Bann. Mit gleicher Leidenschaft engagierte er sich lebenslang für Frieden und Toleranz. "Mit seinem Tod ist die Welt ärmer geworden", erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog, als Menuhin am 12. März 1999 mit 82 Jahren in Berlin starb.
Zur deutschen Hauptstadt hatte der Sohn jüdischer Eltern zeitlebens eine besondere Beziehung. Nach den Gräueln des Nazi-Regimes war er 1947 der erste jüdische Künstler von Rang, der wieder in Deutschland auftrat und die Hand zur Versöhnung reichte. In seiner amerikanischen Heimat und bei Überlebenden des Holocaust trug ihm das heftige Kritik ein.
"Die Erfahrung hat mich nicht davon überzeugt, dass die Musik vor der Unversöhnlichkeit der Menschen kuschen muss, oder dass der Musiker nur dumpf vor sich hinfiedeln darf, wenn die Welt in Flammen steht", notierte er in seinen inzwischen vergriffenen Lebenserinnerungen "Unvollendete Reise".
In New York geboren und in San Francisco aufgewachsen, hatte Menuhin mit seiner Familie den größten Teil des Lebens in Europa verbracht. Der Vater, ein Nachkomme chassidischer Rabbis aus dem Ghetto im weißrussischen Gomel, verzichtet für den Sohn auf den eigenen Lehrerberuf und wurde sein Manager.
Die Mutter, ebenfalls jüdischen Glaubens, ist die treibende Kraft bei der Ausbildung. Von ihr hat er auch den ungewöhnlichen Vornamen. Aus Protest gegen eine Vermieterin in der New Yorker Bronx, die keine Juden im Haus wünschte, nannte sie ihren Ältesten demonstrativ Yehudi – das hebräische Wort für Jude.
Mit vier bekommt der Junge seine erste Geige, mit zehn steht er in New York in der Manhattan Opera und der Carnegie Hall auf der Bühne, mit elf triumphiert er in Paris und mit knapp dreizehn, 1929, in Berlin – ein Wunderkind à la Mozart. "Eine Kunst muss für den Künstler so leicht und natürlich werden, wie es für den Vogel ist, zu fliegen", sagt er später.
Für Musik und Völkerverständigung um den Erdball
Die Fotos jener Zeit zeigen einen pausbäckigen, etwas pummeligen Jungen, dessen Gesicht noch wenig von den feinsinnigen Zügen späterer Jahre ahnen lässt. Und doch attestieren ihm seine Lehrer schon da eine ungeheure Reife. Mit 19 jedoch, nach einer Mammuttournee mit 110 Konzerten weltweit, kommt es zur Krise. Eineinhalb Jahre muss er pausieren, ehe er 1937 mit verfeinerter Technik wieder auftritt.
Danach beginnen die sechs Jahrzehnte, in denen er für Musik und Völkerverständigung um den Erdball reist. Er hat ein außergewöhnlich breites Repertoire vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik, darunter eigens für ihn geschriebene Werke von Komponisten wie Belá Bartók, George Enescu und William Walton.
Lange, bevor das Wort Crossover erfunden wird, spielt er mit Jazzmusikern oder dem indischen Sitar-Künstler Ravi Shankar zusammen. Seit den 60er Jahren fährt er zunehmend auch am Dirigentenpult Triumphe ein. Am Schluss sind mehr als 300 Platten entstanden.
"Die Welt durch Musik zu verbessern", das war sein Lebensthema. So stärkt er während des Zweiten Weltkriegs in mehr als 500 Konzerten die Moral der alliierten Truppen gegen Nazi-Deutschland, 1945 tritt er mit Benjamin Britten im befreiten KZ Bergen-Belsen auf. Oft stiftet er die Einnahmen seiner Konzerte für soziale Zwecke. Er gründet mehrere Schulen und Stiftungen zur ganzheitlichen Förderung des Nachwuchses.
Die Queen erhebt den für seine Warmherzigkeit verehrten Musiker in den Adelsstand, die Unesco zeichnet ihn mit dem Titel des "Goodwill Ambassador" aus. Der Gründer des Schleswig-Holstein Musik Festival, Justus Frantz, bringt Menuhins Charisma so auf den Punkt: "Jeder, der mal mit ihm zu tun hatte, ging ein bisschen verwandelt aus dieser Begegnung."
Zum 100. Geburtstag seines langjährigen Mentors und Förderers hat der britische Stargeiger Daniel Hope ein Gedenkalbum herausgebracht. Der heute 42-jährige Wahlberliner kannte Menuhin von kleinauf. Später arbeiteten sie zehn Jahre lang bei mehr als 60 Konzerten weltweit als Geiger und Dirigent zusammen.
Bei Menuhins letztem Konzert am 7. März 1999 in Düsseldorf spielte Hope als Zugabe für ihn persönlich Maurice Ravels "Kaddisch", ein jüdisches Totengebet. "Das war das letzte, was ich für ihn gespielt habe", erinnert sich Hope im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Dass es dann ein ungewolltes Kaddisch für ihn sein sollte, wussten wir alle nicht."
Fünf Tage später starb Menuhin nach einer fiebrigen Bronchitis an Herzversagen in Berlin.
(Von Nada Weigelt, dpa/MH)
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