Mit großem Orchester so intim musizieren wie mit Kammerensemble – Dirigent Kent Nagano wird 65

22. November 2016 - 15:14 Uhr

Hamburg – Vor einem Jahr begann mit Generalmusikdirektor Kent Nagano und Opernintendant Georges Delnon eine neue Ära in Hamburg. Schon der Beginn mit Hector Berlioz' Oper "Les Troyens" war spektakulär, es folgte die viel gelobte Uraufführung "Stilles Meer" von Toshio Hosokawa über die Atomkatastrophe von Fukushima und Romeo Castelluccis bildgewaltige Interpretation von Johann Sebastian Bachs "Matthäus-Passion" in den Deichtorhallen. 19 Erwähnungen findet die Hamburgische Staatsoper im Jahrbuch der Zeitschrift "Opernwelt". Kritiker lobten den "profilierten Neustart" und Kent Nagano, "weil er die Hamburger Oper musikalisch wieder vorangebracht hat". Andere sprachen von "keinem lauten Einstand, sondern einem innigen". In nur wenigen Wochen habe Nagano es geschafft, das Orchester zu verwandeln. Am (heutigen) Dienstag feiert der amerikanische Dirigent mit japanischen Wurzeln seinen 65. Geburtstag.

Kent Nagano

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"Ich schätze seine ruhige Art", sagt die Opernsängerin Catherine Naglestad. "Er ist sehr klar. Sagt, was er will und was er nicht will." Nagano selbst, der immer freundlich und zurückhaltend auftritt, formulierte es einmal so: "Meine Idealvorstellung ist es, auch mit einem großen Orchester so intim wie in einem Kammerensemble zu musizieren. Wenn wir uns so nahe sind, dass die Flexibilität und Spontanität von der ganzen Gruppe gespürt wird und als etwas Gemeinsames entsteht. Ein Großteil meiner Arbeit mit Orchestern besteht darin, dieses Gefühl zu erreichen." Schon als Musikdirektor in Montréal ist es dem einfühlsamen Dirigenten gelungen, junges Publikum in den neuen Konzertsaal zu locken. Das will er in Hamburg mit der Elbphilharmonie auch schaffen.

Die Vorfreude auf deren Eröffnung steigt bei ihm schon: "Wir sind sehr optimistisch, dass das ein erstklassiges Konzerthaus mit einer erstklassigen Akustik wird", sagte der Dirigent im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Der Konzertsaal mit seinen terrassenförmig aufsteigenden Rängen sei trotz seiner 2.100 Plätze sehr intim. "Man hat das Gefühl, die Zuschauer sitzen sehr nah an den Musikern. Und das ist sehr wichtig, denn Musik ist Kommunikation", sagte Nagano. Das Philharmonische Staatsorchester unter seiner Leitung präsentiert sich in der Elbphilharmonie erstmals am 13. Januar – mit einer Uraufführung von Jörg Widmann.

Aufgewachsen ist Kent Nagano in Morro Bay, einem kleinen Fischerdorf an der kalifornischen Küste – ohne Fernseher, Kino und Stereoanlage. Ein engagierter Musiklehrer weckte in ihm die Leidenschaft für Musik – schon früh lernte er Klavier, Klarinette und Bratsche zu spielen. Mit acht Jahren dirigierte er den Kirchenchor in seinem Dorf. "Für uns war Musik einfach das Leben. Wir spielten auch Hausmusik. Was sollte man auch sonst machen mitten auf dem Land?", erinnert sich der begeisterte Surfer, der im Norden die "richtige Welle" noch nicht gefunden hat. Seitdem glaubt Nagano an die verbindende Kraft der Musik und betont immer wieder, wie wichtig Musik für jeden ist.

Nach seiner Ausbildung in den USA setzte der Dirigent, der für seine leisen Töne und seine unorthodoxe Programmauswahl bekannt ist, seine Karriere in Europa fort. Er dirigierte Werke des französischen Komponisten Olivier Messiaen oder spielte mit dem London Symphony Orchestra Orchesterwerke des anarchischen Rockmusikers Frank Zappa ein. Nach einem Studium bei Pierre Boulez und Leonard Bernstein wurde Nagano 2000 Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Danach übernahm der Amerikaner den Posten als Musikdirektor beim Orchestre symphonique de Montréal und als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Dort hatte Nagano – obwohl vom Publikum verehrt und vom Orchester geschätzt – keinen leichten Stand. Das lag vor allem am ungleichen Führungsduo: Auf der einen Seite der gerne kraftmeierisch auftretende österreichische Intendant Nikolaus Bachler, auf der anderen der zurückhaltende und sensible Generalmusikdirektor Nagano. Da scheinen der Amerikaner und der Schweizer Georges Delnon viel besser zu harmonieren. "Er ist nicht nur ein Visionär, sondern er hat auch ein besonderes Gespür für Qualität", sagt Nagano über Delnon. Zusammen mit ihm und seinem Orchester ist Nagano zuversichtlich, "dass wir in den nächsten Jahren noch viel erreichen können".

(Von Carola Große-Wilde, dpa/MH)

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