Bremen (MH) – Ein kleiner Junge steht an der Bühnenseite und spricht erst leise, dann immer lauter ins Mikrofon. "Anno Domini 1618 waren es zwölf Millionen Menschen in Deutschland. Anno Domini 1648 waren es nur noch vier." Die Worte peitschen durch den Saal im Theater am Goetheplatz und verfehlen ihre Wirkung nicht. Zwischen diesen nackten Zahlen liegen Krieg, Gräuel und Tod. So beginnt und so endet die selten gespielte Kammeroper "Simplicius Simplicissimus" von Karl Amadeus Hartmann (1905 – 1963). In Bremen lässt die gefeierte Regisseurin Tatjana Gürbaca als Schlussbild eine beleuchtete Straßenbahn durch eine Großstadtszenerie fahren. Ein kleiner Zug der Hoffnung und ein mahnender Verweis, dass ein bestialischer Krieg heutzutage verhindert werden muss. Angesichts der angespannten Weltlage könnte Hartmanns Werk, das am Samstag Premiere hatte, kaum aktueller sein.
Der Stoff für seine 1934 komponierte und 1949 uraufgeführte Oper basiert auf dem barocken Schelmenroman "Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch". Die Gräueltaten des Dreißigjährigen Krieges nimmt Hartmann als Projektionsfläche für seine eigene Zeit. Die Vorahnungen zum Ausmaß des Zweiten Weltkrieges treiben ihn um. Im Mittelpunkt der nur 80-minütigen Oper steht der naive, einfältige und weltfremde Bauernjunge Simplicius (Marysol Schalit), der in die Wirren des Krieges gerät. Das Stück umreißt drei eindringliche Szenen einer Jugend im Ausnahmezustand Krieg. Die Plünderung des Hofes durch Soldaten, die Flucht zu einem Einsiedler und nach dessen Tod der Weg zum Haus des liederlichen Gouverneurs, wo er zum Hofnarren erklärt wird.
Klaus Grünberg hat für die Szenerie auf den ersten Blick ein verwirrendes Bühnenbild geschaffen, das sich als hoch effektiv erweist. In eine vertäfelte Wand sind zwei Löcher geschnitten. Ein langes Rechteck, das das Spiel kommentiert und ein großer Kreis, in dem das eigentliche Geschehen zu sehen ist. Während im unteren Schaukasten die Totenköpfe rollen und blinken oder sich der Einsiedler zur letzten Ruhe in ein Bergidyll legt, lässt Gürbaca ein Fenster darüber Simplicius leiden und lernen. In der Bremer Erstaufführung ist Simplicius in Sakko, Weste, Hose und weißem Hemd weit mehr als ein Sinnbild für die einfache Bauernschaft.
Das Stück ist nicht gefällig. Weder musikalisch, noch szenisch. Schmerz, Trauer und eindringliche Mahnung, die vom kleinen Orchester unter der bewährten Leitung von Clemens Heil in vielfältigen Klangposen zu den Zuschauerreihen durchdringen, werden dadurch verstärkt, dass der Chor im Publikum platziert ist. Die Botschaft des Antikriegsstückes, das Hartmann in einem Zinkkasten im Garten vor den Nationalsozialisten versteckte, ist deutlich: Gräueltaten und dessen Verhinderung geht uns alle an. Ein eindringlicher Abend. Minutenlanger Applaus für Sänger, Orchester und Regie.
(Von Corinna Fuchs-Laubach)
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