Berlin – Seit mehr als einem Vierteljahrhundert steht Daniel Barenboim (74) an der Spitze der Berliner Staatsoper. Nach sieben Jahren Renovierung kehrt das Ensemble wieder in sein Haus zurück. Hat sich der Aufwand gelohnt? Auf jeden Fall, sagt Barenboim in einem Gespräch über den Klang, die Farben und die Liebe.
Frage: Sieben Jahre Bauzeit, Millionen Mehrkosten – hat sich der Aufwand gelohnt?
Antwort: Ich bin sehr zufrieden, die Akustik ist außerordentlich gut geworden – für die Konzerte auf der Bühne, aber auch im Graben für die Oper. Ich habe das Haus zwar noch nicht mit Publikum erlebt, aber das wird sicher nicht anders sein. Mit der Nachhallgalerie verlängert sich der Klang im Raum von bisher 0,9 auf 1,6 Sekunden, also um fast das Doppelte. Wir haben die richtige Balance hinbekommen zwischen einem überakustischen Saal, wie er zum Beispiel in einer Kathedrale ist, und einem stumpfen Raum, der den Klang schluckt. In der Staatsoper wird die Musik außerordentlich durchsichtig sein.
Frage: Das alles mit knapp einer halben Sekunde mehr Nachhall?
Antwort: Man spricht ja immer über den Klang als Farbe. Das ist aber subjektiv. Was für mich hell ist, kann für jemand anderen dunkel sein. Das Objektive in der Musik ist die Ausdauer des Klangs, sein Gewicht. Klang wird durch Energie erzeugt – bei jedem Instrument anders. Und den Klang muss man halten, sonst stirbt er. Somit steht der Klang immer in Beziehung zur Stille. Wenn ich den Ton nicht halte, erlischt er. Diese Frage von Leben und Tod des Klangs ist eine zentrale Dimension der Musik. Der Nachhall ist die Chance, dass Musik länger leben kann.
Frage: Wird sich die Staatsoper in dem neuen, alten Haus verändern?
Antwort: Das Programm steht, wir wollen viele Auftragswerke spielen. Geplant zur Eröffnung war ja eine neue Oper von Wolfgang Rihm, der aber leider erkrankt ist. Wir werden nicht nur bekannte Titel spielen, sondern auch Ungewöhnliches, das man nicht immer im Opernrepertoire hört. Und die Staatskapelle, die ja das drittälteste Orchester der Welt ist, wird sich weiter der Moderne widmen, auch wenn man immer wieder hört, dass sie den "deutschen Klang" pflegt.
Frage: Gibt es das überhaupt, den deutschen oder den französischen Klang?
Antwort: Das ist die falsche Frage. Natürlich spielt ein Orchester Wagner, Brahms oder Bruckner anderes als Debussy. Und selbstverständlich gibt es einen nationalen Klang. Es wäre falsch, Bruckner so wie Debussy zu spielen. Sehen Sie, bei Bruckner oder Wagner liegt die Schwierigkeit darin, die Musik nicht zu schnell laut werden zu lassen, sie nur allmählich zu steigern. Bei Debussy hingegen kann das manchmal eine kurze Sekunde laut werden. Der "deutsche Klang" hat auch etwas mit dem großen Gewicht der Konsonanten in der Sprache zu tun. Bei den Italienern spielen dagegen Vokale die tragende Rolle. Sowas spiegelt sich auch in der Musik wieder.
Frage: Wie sehen Sie Ihre Zukunft an der Staatsoper?
Antwort: Das Orchester hat mich auf Lebenszeit ernannt. Vermutlich wusste es nicht, dass es so lange dauern würde. Aber im Ernst: So lange ich fit bin und das Orchester neugierig auf mich, werde ich bleiben. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass ein Orchester so lange mit einem Dirigenten zusammenarbeitet, schon 26 Jahre in unserem Fall. Es gibt vielleicht den einen oder anderen, der mich nicht mag. Aber in der Musik sind wir alle gemeinsam auf der Suche nach dem Gleichklang. Als wäre das Orchester eine kollektive Lunge.
Frage: Pianist, Chefdirigent und Gründer der Akademie für Ihr West-Eastern Divan Orchestra – woher nehmen Sie mit fast 75 Jahren diese Energie?
Antwort: Die Musik gibt mir Energie, nur der Körper braucht manchmal Ruhe. Ich bin nicht müde und habe auch nicht das Gefühl, dass ich rennen muss. Von Artur Rubinstein habe ich etwas sehr Wichtiges gelernt. Er sagte mir einmal: Du musst bedingungslos glücklich sein, du darfst nicht sagen: "Ich wäre glücklich, wenn ich mehr Geld hätte" oder Ähnliches. Das "Wenn" muss weg. Glück gibt es nur, wenn man es ohne Bedingungen akzeptiert. Ich denke fast täglich daran und weiß zu schätzen, dass ich bis jetzt ein fantastisches Leben geführt habe, das an sich drei, vier Leben sind.
Frage: Sie brauchen doch immer wieder neue Ideen …
Antwort: Ich erzähle Ihnen dazu eine Anekdote: Ich habe einmal mit einem Dirigenten gespielt, der über 40 Jahre Chef eines Orchesters war, den Namen werde ich nicht nennen. Ich saß am Klavier und konnte direkt auf die Celli sehen. Bei der Probe dreht sich der Dirigent zu den Cellisten um, ich konnte nicht hören, was er sagte. Ich sah aber, wie die anderen Musiker mit ihren Lippen dem Chef nachsprachen, womöglich hatten sie das schon tausend Mal gehört. An dem Tag habe ich mir geschworen, es nie so weit kommen zu lassen.
Frage: Sie spielen schon fast 70 Jahre Klavier. Wie geht es Ihnen mit den Stücken, die sie als Kind gespielt haben?
Antwort: Vor einigen Wochen habe ich mit der Staatskapelle in Dresden und Paris Mozarts A-Dur-Konzert gespielt. Und auch nach 67 Jahren stelle ich immer wieder neue Kleinigkeiten fest, eine Verzierung hier, eine harmonische Beziehung dort. Das heißt, ich weiß jeden Tag mehr über das Stück, spiele es aber immer wieder von neuem. Das ist so, wie bei der Frau, die man liebt, und bei der man immer wieder etwas Neues entdeckt, auch nach vielen Jahren.
(Interview: Esteban Engel, dpa)
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(27.09.2017 – 17:02 Uhr)
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