Wenn man heute im Konzert ein Cembalo sieht und hört, kann man sich kaum vorstellen, dass es einmal von den Bühnen verschwunden war. Im Englischen "Harpsichord" genannt, lässt sein deutscher Name "Kielflügel" erahnen, von welchem anderen Tasteninstrument das Cembalo abgelöst wurde: dem Hammerklavier. Im Gegensatz zu diesem werden die Saiten beim Cembalo gezupft. Wenn man eine Taste drückt, lässt die Hebelmechanik einen Federkiel die entsprechende Metallsaite anreißen. Anders als bei den Hämmerchen eines Klaviers beeinflusst der Anschlag nicht die Lautstärke.
Entstanden ist das Cembalo in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Das älteste erhaltene Instrument stammt von 1521. Seine Blütezeit hatte das Cembalo vom 15. bis 18. Jahrhundert. Mit der Entwicklung des Hammerklaviers und seinen verbesserten Ausdrucksmöglichkeiten geriet es aber ins Hintertreffen. Fortan wurden sogar Kompositionen von Bach, Händel, Haydn und Mozart nicht mehr auf dem Cembalo gespielt, sondern auf dem Klavier. Erst eine junge polnische Pianistin – Wanda Landowska – erweckte das historische Musikinstrument aus seinem Dornröschenschlaf.
Verstummte Prunkstücke
Am 05. Juli 1879 in Warschau geboren, begann Wanda Landowska im Alter von vier Jahren mit dem Klavierspielen. Als kleines Mädchen notierte sie zu Weihnachten auf einem Wunschzettel alle Kompositionen von Bach, Mozart und anderen, die sie spielen wollte. "Diesen Wunschzettel steckte ich in einen Umschlag und schrieb darauf: 'Zu Öffnen, wenn ich groß bin', denn ich vermutete, dass es nur ein Wunschtraum war", bestätigte sie einmal eine Anekdote 1). Bei ihrem ersten öffentlichen Konzert spielte sie in Warschau Bachs Englische Suite in e-Moll sowie das c-Moll-Konzert von Beethoven.
Im Jahr 1900, Wanda Landowska war 21, zog sie nach Paris und heiratete Henri Lew, einen Journalisten und Ethnologen. Dieser unterstützte sie bei ihren Studien der Zeit Bachs aus historischer und musikwissenschaftlicher Sicht. Schon 1896 hatte sie das "Bach-Cembalo" 2) in der Berliner Sammlung Alter Musikinstrumente gesehen und gehört. "Während dieser Zeit spielte ich weiterhin Bach auf dem Klavier, aber im Laufe meiner Forschungen wurde mir klar, dass die Werke jener Zeit auf dem Instrument gespielt werden müssen, für das sie komponiert waren. Dieser Leitsatz leuchtete mir immer mehr ein, und ich entschied mich, ihn konsequent durchzusetzen", erklärte sie später.
Zunächst suchte sie nach einem spielbaren Instrument. Cembali waren zu jener Zeit Museumsstücke. Wanda Landowska beschrieb sie mit diesen Worten: "Verziert mit reichen Schnitzereien, bemalt mit verblassten Farben und glanzlosem Gold, sahen sie aus wie Geister. Einst wahre Prunkstücke, aber heute für immer verstummt." Den Klang dieser Cembali, über den die zeitgenössischen Musiker mit so viel Freude gesprochen hatten, wollte sie wieder beleben. "Ihn jubelnd oder pathetisch erklingen zu lassen, (…) in die Fülle des Wohllautes eingebettete Liebeskantilenen zu singen – davon handelte mein Traum." Er war ehrgeizig, aber auch beständig.
1903 spielte die Pianistin erstmals vor Publikum Cembalo. Ihr stand ein eher bescheidenes Instrument zu Verfügung. Auf diesem spielte sie nur ein einziges Stück, ansonsten Werke der Romantik auf dem Klavier. In den folgenden Konzerten erhöhte sie allmählich die Zahl der Cembalo-Stücke. "Nach relativ kurzer Zeit traute ich mich, auf diesem Instrument das gesamte (Klavier-)Werk Bachs sowie die ganze Musik vor der Mozart-Zeit zu spielen." 1911 wurde Wanda Landowska zu einem "Duell zwischen Cembalo und Klavier" im Bachhaus Eisenach 3) geladen – ihr dortiger Sieg wurde von "endlosen Ovationen" begleitet.
Mit ihrer Kampagne für eine Renaissance des Cembalos tourte sie durch Europa, nach Amerika und Afrika. Parallel dazu setzte sie ihr Studium der Originalquellen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert fort. "Ich musste die Fingersätze rekonstruieren, die Registrierung, die Tempi, die Verzierungen und deren Ausführung, kurz, alle Bestandteile, die zur Interpretation der Alten Musik gehören", so Landowska. Häufig traf sie sich mit dem Organisten und Bachforscher Albert Schweitzer und diskutierte mit ihm musikalische Fragen – bevor dieser Medizin studierte, um nach Afrika zu gehen.
Ein eigenes Cembalo
Schließlich ließ sich die zielstrebige Künstlerin von der berühmten Piano-Manufaktur Pleyel ein Cembalo bauen, das so weit wie möglich dem Instrument von Bach ähnelte. Mit ihrem "Grand Modèle de Concert" trat Wanda Landowska erstmals 1912 vor Publikum auf, anlässlich eines Bach-Festes in Breslau. Dieses Konzert brachte den endgültigen Durchbruch für die Verwendung des Cembalos zur Interpretation von Bachs Werken.
1913 wurde Landowska die weltweit erste Dozentin für Cembalo an einer Musikhochschule, der Königlichen Hochschule für Musik. 1926 gründete sie in der Nähe von Paris ihre eigene "Schule für Alte Musik". Hier nahm sie die – ebenfalls weltweit erste – Gesamteinspielung der "Goldberg-Variationen" von Bach auf Cembalo auf. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung floh sie 1941 vor der deutschen Besatzung in die USA. Ihre Aufführung der Goldberg-Variationen 1942 in der New York Town Hall vor über 1.500 Zuhörern zählt zu den legendären Konzerten des 20. Jahrhunderts. In Lakeville (Connecticut), wohin sie sich 1954 zurückzog, starb sie am 17. August 1959.
Wanda Landowska hat mit Dirigenten wie Willem Mengelberg und Wilhelm Furtwängler, dem Cellisten Pablo Casals und dem Geiger Yehudi Menuhin konzertiert. Francis Poulenc hat für sie ein Konzert für Cembalo und Orchester komponiert. Mit ihm verband sie eine lebenslange Freundschaft. Auch mit Künstlern wie Leo Tolstoi, Rainer Maria Rilke und Auguste Rodin war sie befreundet. Bei ihren Auftritten schlurfte die "High Priestess of the Harpsichord", wie die Amerikaner sie nannten, minutenlang über die Bühne, ehe sie sich an ihr Instrument setzte. Neben diesem stand meistens eine große Stehlampe. Zu den von ihr gespielten Stücken gab die Landowska jeweils kurze Erläuterungen. Typisch war die krallenartige Haltung ihrer Finger.
Die von Wanda Landowska erzielte Renaissance des Cembalos löste einen regelrechten Cembalo-Boom aus. Dabei entstanden zunächst häufig Instrumente, die sich wieder am zeitgenössischen Klavierbau orientierten, anstatt an den historischen Vorbildern. Erst allmählich besann man sich auf die instrumentenbauliche Tradition und wandte sich wieder den ursprünglichen Materialien und Handwerksprozessen zu.
Mit ihrer Forderung, man könne Bach "schlimmstenfalls auf dem Klavier, aber man soll in auf dem Cembalo spielen" machte sich Landowska die zeitgenössische, überwiegend männliche Konkurrenz auf dem Klavier zu erbitterten Gegnern. Berühmt wurde Landowskas Satz: "Sie spielen Bach auf Ihre Art, und ich spiele ihn auf seine Art." Mit ihren Konzerten, ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit hat sie sich aber nicht etwa vom Piano verabschiedet. "Überflüssig zu sagen, dass meine Liebe zum Cembalo meine Liebe zum Klavier nicht gemindert hat. Im Gegenteil, ich spielte mit immer größerem Vergnügen die Klavierwerke von Mozart." Ihr lag stets daran, "beide Instrumente gleichermaßen zu kultivieren und im Vergleich keines dem anderen vorzuziehen."
(Von Wieland Aschinger)
1) Sämtliche Zitate finden sich in dem Buch "Die Dame mit dem Cembalo – Wanda Landowska und die Alte Musik", Bilder und Texte zusammengestellt und herausgegeben von Martin Elste, Schott Verlag, Mainz
2) Das Instrument ist noch heute im Berliner Musikinstrumenten-Museum zu besichtigen.
3) Das Bachhaus Eisenach zeigt noch bis 13. November 2011 die Sonderausstellung "Erinnerungen an Wanda Landowska". Sie endet mit einem Konzert des Ensembles Silva Rerum.