Martin Erhardt: "Es ist nur konsequent, Alte Musik zu improvisieren" – Fokus des Leipziger Improvisationsfestivals "LivFe!"

07. Mai 2013 - 10:06 Uhr

Das Leipziger Improvisationsfestival "LivFe!" wurde 2009 von Christian Fischer ins Leben gerufen und hatte zunächst einen breiteren Improvisationsbegriff. Martin Erhardt, seit 2011 künstlerischer Leiter des alle zwei Jahre stattfindenden Festivals, fokussiert es nun in einmaliger Art und Weise auf die Improvisation Alter Musik nach historischen Vorbildern.

Erhardt unterrichtet historische Improvisation und Musiktheorie an den Hochschulen in Leipzig und Weimar sowie Blockflöte am Konservatorium in Halle. Daneben konzertiert er als Blockflötist, Cembalist, Organist, Portativspieler und Sänger mit diversen Spezialistenensembles.

Seine Beweggründe für das Improvisationsfestival erläuterte Erhardt im Interview mit dem Nachrichtenmagazin musik heute.

Frage: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Leipziger Improvisationsfestival der Alten Musik zu widmen?

Martin Erhardt

Martin Erhardt: Die "Wiederbelebung der Alten Musik" ist seit Jahrzehnten ein fester Teil der Musikszene, und so ist es nur konsequent, heute auch Alte Musik zu improvisieren. Denn die Improvisation gehörte bis ins 18. Jahrhundert einfach zum Musizieren (und Tanzen) dazu, obwohl musikalische Notation ja auch damals schon wichtig war.

Aber das uns schriftlich überlieferte Repertoire aus Mittelalter, Renaissance und Barock ist nur die Spitze des Eisbergs. Wie jedoch damals improvisiert wurde, können wir nur vermuten. Eine Garantie auf Authentizität, die sich die historische Aufführungspraxis oft auf ihre Fahnen schreibt, können wir in der Improvisation nicht geben – genau hierin liegt der reizvolle Widerspruch.

Frage: Improvisation versus Perfektion – begeben sich Improvisateure auf heikles Terrain?

Martin Erhardt: Natürlich sind Improvisationen nicht perfekt – wollen es aber auch nicht sein, denn das spontane Element bringt ja viel Lebendigkeit und Spannung ins Spiel. Andererseits kann man mit einigem Handwerkszeug, Erfahrung und künstlerischer Ausstrahlung auch sehr, sehr gute Improvisationen hinlegen, so dass man keinen Unterschied zwischen Improvisiertem und lange Einstudiertem hört.

Unseren abendlichen Konzerten liegt darüber hinaus ein dialogisches Prinzip zugrunde: Auf der Bühne begegnen sich verschiedene Meister ihres Fachs, die sich teilweise untereinander noch nicht kennen. So treffen unterschiedliche Herangehensweisen, mit Alter Musik zu improvisieren, aufeinander – da gibt es garantiert unvorhersehbare Musikerlebnisse!

Frage: Kann man als Festivalbesucher auch selbst etwas lernen oder ausprobieren?

AlteMusik-JamSession

Martin Erhardt: Das Leipziger Improvisationsfestival "LivFe!" möchte gerade Studenten und Liebhabern der Alten Musik in den Workshops Techniken mit auf den Weg geben, wie sie in der Gruppe spontan musizieren können, zum Beispiel über Ostinatobässe und Standards aus Renaissance und Barock. Es gab natürlich auch in früheren Jahrhunderten Melodien und Basslinien, die jeder kannte, über die "fantasiert" wurde, sozusagen "Standards" der Alten Musik. Aber auch improvisierte Vokalpolyphonie kann man lernen.

Ausprobieren kann man sich dann gleich in den abendlichen AlteMusik-JamSessions: Jeder kann zuhören, und das Podium ist offen.

Frage: Hat das Festival mit Crossover zu tun?

Martin Erhardt: Nein! Telemann, Bach, Fasch, Pisendel und Co. spielten seinerzeit JamSessions im Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig – das war eine dem heutigen Jazz vergleichbare Aufführungssituation, aber eben in barocker Stilistik. Wenn wir heute diese Szene wieder kultivieren, ist das so ähnlich, als würde man eine ausgestorbene Sprache wieder sprechen. Beispielsweise Latein: Wir lernen heute in der Schule, Latein zu lesen, also wiederzugeben, aber nicht, uns selbst in lateinischer Sprache auszudrücken. Die damalige Musiksprache, stilistisch so differenziert wie möglich, wieder frei zu sprechen: Das ist unser Ziel.

(Die Fragen stellte Heike Bronn.)

Mehr zum Thema:

Alte Musik heute improvisiert – Leipziger Improvisationsfestival

Link:

http://www.improfestival-leipzig.de/

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