Berlin (MH) – Das Publikum ist mittendrin im turbulenten Geschehen. Benedikt von Peters Inszenierung von Kurt Weills Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" an der Deutschen Oper Berlin überwindet eindrücklich die klassische Trennung von Bühne und Zuschauerraum. Für die letzte szenische Produktion zum Ende der Intendanz von Dietmar Schwarz gab es am Donnerstagabend enthusiastischen Beifall und Bravo-Rufe.
Drinnen ist es dämmerig, hier und da flackern farbige Leuchtbuchstaben, Tische und Sitze sind mit Planen abgedeckt. Statisten liegen vor sich hin dösend auf dem Boden, Seifenblasen schweben durch die Luft. Die Premierenbesucher nehmen nicht wie üblich reservierte Sitzplätze im Parkett oder in den Rängen ein. Sie streifen durch das gesamte Gebäude, um die Vorstellung in den Foyers, auf der Bühne beziehungsweise auf Videoleinwänden mitzuerleben.
Eine Pause ist nicht vorgesehen, vieles läuft parallel auf verschiedenen Ebenen ab. Wenn die Sänger etwa im Foyer zugange sind, spielt das Orchester nebenan auf der Bühne. Die Zuschauer verlassen ihre gewohnte Komfortzone, werden selbst Teil des Spektakels. Sie hocken schließlich auf einem Matratzenlager mitten im Sündenpfuhl zusammen, auf Tuchfühlung mit den Mitwirkenden, die zwischendurch Sekt nachschenken.
Weill und sein Librettist Bertolt Brecht hatten 1930 bei der Leipziger Uraufführung ihrer Oper einen Skandal provoziert. Von Anhängern der Nationalsozialisten angestachelt, störte das Publikum die Aufführung des Stücks, zu dem sich Weill durch die Geschichte der sündhaften Städte Sodom und Gomorrha inspirieren ließ.
Unter der musikalischen Leitung von Stefan Klingele verkörpert nun Evelyn Herlitzius stimmgewaltig die profitgierige Witwe Leokadja Begbick. Gemeinsam mit zwei weiteren Ganoven – Fatty, "der Prokurist" (Thomas Cilluffo) und Dreieinigkeitsmoses (Robert Gleadow) – gründet sie die an Las Vegas angelehnte "Netzestadt" Mahagonny.
Zugereiste Männer mit reichlich Geld in der Tasche werden auf ihrer trügerischen Suche nach Glück ins wilde Nachtleben hineingezogen. Sie betrinken sich bis zur Besinnungslosigkeit und lassen sich mit Prostituierten ein. Annette Dasch tritt ausdrucksstark in der Rolle der Hure Jenny in Erscheinung.
Holzfäller Jim Mahoney, hervorragend interpretiert von Nikolai Schukoff, begehrt jedoch gegen das menschenverachtende System auf. Und das Kalkül der Gauner geht nicht auf – ihre Geldgier endet im Chaos und führt zum Untergang der Wüstenstadt mitsamt ihrer kapitalistischen Maschinerie.
Von Peter, seit der Spielzeit 2020/21 Intendant und Künstlerischer Leiter der Opernsparte am Theater Basel, ist für radikale Regieansätze bekannt, die das Raumerlebnis im Theater verändern. Auch in seiner bildmächtigen Inszenierung von Luigi Nonos "Intolleranza", die 2011 mit dem Faust-Preis ausgezeichnet wurde, durfte das Publikum mitspielen und sich unter die Künstler mischen.
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(ck/wa)
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