Modern, neu und vor allem: anders. – Dies sind wohl die drei Adjektive, die Cristoph Hagels Arbeiten am besten beschreiben. Nach seinem riesigen, ECHO-prämierten Erfolg "Flying Bach" inszeniert er nun die Johannespassion im Berliner Dom. In Verbindung mit modernem Tanz will Hagel jungen Menschen die klassische Musik und den Leidensweg Christi näher bringen.
Die Räumlichkeit – anders und doch passend
Der prunkvolle Berliner Dom erstrahlt in unechtem Kerzenlicht. Das alte Holz, das beim Setzen knarzt, der goldene Stuck – all das erinnert eher an einen gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst, wenn auch etwas größer und atemberaubender als in der Kirche nebenan.
Auch das Orchester und der Chor unter der Leitung von Christoph Hagel passen gut in diesen Rahmen.
Ungewöhnlich jedoch erscheint die mit Erde gefüllte Bühne, welche unterhalb des Altars aufgebaut ist. Sie ist das Spielfeld der Tänzer. Die Erde kontrastiert den golden scheinenden Dom, wirkt fremd in einer solchen Umgebung, ist jedoch ein tragendes Element des Tanzes und bekommt im Laufe der Vorstellung immer mehr Bedeutung.
Der Tanz – anders und doch wunderschön
Eine interessante Mischung aus Streetdancern, Tänzern aus dem Modern Dance, Balletttänzern und ursprünglichen Martial Art Künstlern tanzen die Choreografien des Budapesters Martin Buczkó. Besonders überzeugen die Schüler der Staatlichen Ballettschule zu Berlin, die sich perfekt in die Performances der Profitänzer einfügen. Die Schülerinnen und Schüler im Alter von zehn bis zwölf Jahren sind erstaunlich diszipliniert, schon jetzt so synchron wie die Profis.
Die Choreografien zeigen das Leiden Jesu Christi packend und beinahe fühlbar für den Zuschauer. Der Kontrast zwischen der gewaltvollen Umgebung, in welcher Jesus von Nazareth gelebt hatte und dessen gutmütiger, liebender Art wird durch bedrohlich erscheinende, dunkel gekleidete Tänzer deutlich, die mal mit, mal ohne Stöcke wilde, wütende Choreografien performen. Sie spucken auf Jesus, schlagen ihre Stöcke aneinander, so dass es im ganzen Dom hallt und brechen somit kontrastierend die Zartheit des Chorals.
Die schwierige Beziehung zwischen Pilatus und Jesus steht im Mittelpunkt der Inszenierung und wird immer wieder von zwei miteinander tanzenden Männern bildhaft unterstrichen. Eine umwerfende, berührende Choreografie, die gleichzeitig Hass und Liebe vermittelt. Viel Hautkontakt und liebevolle Sinnlichkeit, die begeistert.
Die Darsteller – anders und doch überzeugend
Sie tanzen, springen, bücken sich, um im nächsten Moment schon wieder zu singen. Die Beweglichkeit und Ausdauer der Darsteller ist beeindruckend. Und das von der ersten bis zur letzten Minute.
Mit einer Ausnahme: Johannes Gaubitz. Der Preisträger des internationalen Gesangswettbewerbs der Kammeroper Schloss Rheinsberg 2010 singt den Evangelisten und darf sitzen bzw. stehen bleiben. Der Tenor überzeugt mit seiner klaren Stimme und beeindruckt mit Intensität.
Christian Oldenburg verkörpert den Jesus und hat es damit besonders schwer. Viel Bewegung, wenig Luft. Dennoch vollbringt der Bariton Hochleistungen, liefert fast alle Partien sauber ab und verkörpert das Leiden Jesu mit Brillanz.
Die in ihren Rollen von Magd, zu Jünger, zu Diener, zu Maria springenden Frauen Cornelia Lanz (Mezzosopran) und Sarah Behrendt (Sopran) können ebenfalls glänzen. Besonders berührend ist die von Sarah Behrendt gesungene, emotionale Partie der Mutter Maria, die um ihren Sohn trauert. Gänsehaut pur.
Die Musik – anders und doch Bach
Christoph Hagel, bekannt durch "Flying Bach" und die Inszenierung der Zauberflöte im Berliner U-Bahnhof Bundestag, dirigiert die tadellosen Berliner Symphoniker und den etwas blass wirkenden Berliner Symphoniechor. Hagel ist dabei besonders lebhaft und lässt so die Zuschauer an seiner Freude zu seinem Beruf teilhaben.
Die Musik ist schnell. Vielleicht etwas zu schnell für Bach, denkt der geschulte Hörer spätestens bei einer Koloratur des Evangelisten. Der Pepp und die Schnelligkeit sind jedoch für den Tanz dringend notwendig und so unabdingbar.
Wer also Bach 08/15 erwartet, dem sei die kleine Kirche nebenan spätestens zu Weihnachten wieder zu empfehlen. Wen aber das Moderne, Neue, Andersartige interessiert, der wird schlichtweg begeistert sein.
(Von Anne Kalkbrenner)
Hinweis der Redaktion: Weitere Vorstellungen bis 24. März 2013 täglich 20:15 Uhr sowie 26./27. März, 20:15 Uhr und 28./29. März, 17:00 Uhr. Karten zum Preis zwischen 22,00 und 59,00 Euro sind unter www.johannespassion-im-dom.de/termine.html erhältlich.
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