(Zusammenfassung)
"Außergewöhnlich" und "fantastisch" nannte Sir Simon Rattle das Bundesjugendorchester am vergangenen Sonntag. Zuvor hatte der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker erstmals das "jüngste deutsche Spitzenorchester" dirigiert. Auf dem Programm stand ein höchst anspruchsvolles Werk, die 9. Sinfonie von Anton Bruckner, mit dem vervollständigen 4. Satz in deutscher Erstaufführung.
Bei seinem Tod am 11. Oktober 1896 lagen nur die ersten drei Sätze vollständig vor. Diese werden gelegentlich gefolgt von seinem "Te Deum" gespielt, wie es Bruckner eigentlich verfügt hatte. Für den vierten Satz hat der Komponist zahlreiche Fragmente und Skizzen hinterlassen, die aber in alle Welt verstreut sind. Seit Jahren arbeiten Musikwissenschaftler wie Benjamin-Gunnar Cohrs an der Vervollständigung dieser Skizzen. Durch das Bundesjugendorchester erklang die neueste Aufführungsfassung erstmals in Deutschland.
Mit unglaublichem Engagement haben sich die 110 Musiker im Alter zwischen 14 und 20 Jahren das Werk erarbeitet. Nach intensiver Vorbereitung und mehrtägigen Registerproben in Neubrandenburg probte das Orchester seit Donnerstag in Berlin mit Simon Rattle. Schon im Frühjahr hatte Rattle gesagt: "Jedem, der ihnen das nicht zutraut, werden sie das Gegenteil beweisen." Ein Vertrauensvorschuss, den die Musiker vollauf rechtfertigen konnten. Unter Rattles freundschaftlicher und partnerschaftlicher Führung entfesselten sie eine überwältigende Energie. Mit sichtlicher Begeisterung und Spielfreude entwickelten sie eine Spannung, die das Publikum in der ausverkauften Berliner Philharmonie über anderthalb Stunden fesselte. Der stürmische Applaus wollte anschließend kaum enden.

Simon Rattle
Nach dem Konzert lud das BJO zu einem feierlichen Empfang, bei dem die Stiftung Bundesjugendorchester gegründet wurde. In einer kurzen Ansprache zeigte sich Simon Rattle begeistert von dem Ehrgeiz, dem Talent und dem Engagement der jungen Musiker. Außerdem hob er die außergewöhnlichen Leistungen des Orchesters für die Nachwuchsarbeit hervor. Unter den Berliner Philharmonikern seien selbst über 20 ehemalige Mitglieder des Bundesjugendorchesters. Rattle sagte: "Mit solchen Musikern ist die Zukunft der Musik sicher." Sein Dank galt auch Anton Bruckner für die Musik des Abends und Benjamin-Gunnar Cohrs für die Arbeit an der Partitur. Dieser erwiderte: "Das Finale der 9. Sinfonie hat noch nie so überzeugend geklungen, es ist ein absolutes Wunder." (siehe Interview)
Die Stiftung Bundesjugendorchester soll eine dauerhafte Sicherung und Förderung des Orchesters ermöglichen und die künstlerische und pädagogische Arbeit des Ensembles finanziell unterstützen. Für ihre Errichtung engagieren sich seit rund vier Jahren zahlreiche ehemalige Mitglieder und Freude des Orchester. Schirmherren der Stiftung sind unter anderem die Klarinettistin Sabine Meyer und Rocksänger Sting.
Dem Konzert in der Berliner Philharmonie ging ein Benefiz-Abend mit Bundestags- Präsident Norbert Lammert und dem Präsidenten des Deutschen Musikrates, Martin Maria Krüger, voraus. Rund 90 hochrangige Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur nahmen an dem Dinner im Kaisersaal am Potsdamer Platz teil. Martin Maria Krüger dankte den Stiftungsgründern für ihr Engagement: "Sie geben das weiter, was viele von ihnen im Orchesterspiel selber erlebt haben: nämlich soziale Verantwortung zu übernehmen". Norbert Lammert betonte, dass die Gründung der Stiftung das Interesse der Gesellschaft an der Fördereinrichtung Bundesjugendorchester zum Ausdruck bringe. Solche Initiativen haben "hoffentlich eine ansteckende Wirkung. Jedenfalls brauchen wir für die Zukunft die Verbindung von öffentlichem und gesellschaftlichem Engagement, wenn wir die Strukturen weitertragen wollen, die uns frühere Generationen überlassen haben."
(wa)