Salzburg – "Bitte nicht so dickes Vibrato" und "den Anfang depressivo", fordert Chefdirigent Jukka-Pekka Saraste mit strenger Stimme. Sein Blick geht zu den Streichern des WDR Sinfonieorchesters. Die sitzen in T-Shirts, Jeans, Sportschuhen oder Sandalen an diesem heißen Vormittag im Salzburger Großen Festspielhaus und proben Beethovens "Egmont"-Ouvertüre. Auf Plakaten draußen ist das Konzert als Beethoven-Abend angekündigt, denn nach der Pause folgt noch die Siebte Sinfonie. Ein sehr virtuoses Orchesterstück, besonders auch für die Bläser.
Drei Tage lang musiziert das Kölner Orchester in der Mozart-Stadt. Bereits zum zweiten Mal nach der gelungenen Premiere 2012. Gerade, also Ende Mai, ist Spielzeiteröffnung des größten lokalen Veranstalters neben den Festspielen, der "Salzburger Kulturvereinigung". Der Abend läuft wunschgemäß. Auch der Franzose Jean-Yves Thibaudet, Solist in Schostakowitschs erstem Klavierkonzert, spielt mitreißend und rhythmisch pointiert. Der Schlusssatz ist "wegen des rasanten Tempos heikel für die Musiker", erklärt Konzertmeister José Maria Blumenschein hinterher. Einen großen Auftritt hat auch WDR-Solo-Trompeter Peter Moenkediek, der bei Schostakowitsch neben dem Flügel den zweitwichtigsten Part hat. Hinterher sitzt er entspannt in den engen Holzsstühlen des Festspielhauses und genießt den restlichen Abend als Zuschauer.
Die Akustik in Salzburg ist natürlich anders als daheim in der Kölner Philharmonie. Der Klang ist insgesamt weicher, verliert sich auch etwas auf der weiten Theaterbühne. Die Holzbläser und auch das Blech kommen etwas gedeckter rüber, so sind die Streicher schön im Vordergrund. Darüber freut sich auch Solo-Cellist Johannes Wohlmacher, der übrigens als Einziger mit der Bahn nach Salzburg gereist ist – als "passionierter Zugfan". Die übrigen Musiker kamen mit dem Flugzeug. Instrumente und Noten wurden per LKW transportiert. Unmittelbar nach der letzten Vorstellung werden die Orchesterwarte und -techniker alles wieder einpacken, oft bis spät in die Nacht. So eine Konzertreise ist ja stets eine logistische Herausforderung für die Organisatoren. Kein Instrument darf fehlen oder beschädigt sein. Vor allem müssen sämtliche Noten einschließlich der drei Zugaben von der Flöte bis zum Kontrabass vollständig sein und rechtzeitig auf jedem Pult liegen.
Am nächsten Morgen trudeln die Orchestermitglieder aus ihren verschiedenen Hotels zu Fuß ins Festspielhaus. Veranstalterin Elisabeth Fuchs ist persönlich erschienen. Hochzufrieden mit den WDR-Sinfonikern lobt sie vor der zweiten Generalprobe das "super Konzert" von gestern. Das Salzburger Publikum sei ganz begeistert von der "Spielfreude". Außerdem verspricht sie "Schokolade für morgen". Dann tritt wieder Saraste ans Pult und probt zunächst Brahms vierte Sinfonie. Danach ohne und mit dem norwegischen Solisten Truls Mork Dvořáks Cellokonzert. Alles muss auch diesmal perfekt klappen. Trotz lockerer Atmosphäre wird konzentriert gearbeitet. Nur einer daddelt unentwegt auf seinem Smartphone, der erste Schlagzeuger Johannes Steinbauer. Er spielt abends nur in zwei Sätzen Triangel. Da ist Geduld gefragt. Hingegen muss Solo-Klarinettistin Nicola Jürgensen-Jacobsen immer wieder ran. Bei Brahms und auch Dvořák gibt es viele Solostellen – "ebenso geliebt wie gefürchtet", erzählt sie in der Pause. Daher nutzt sie den freien Nachmittag, um sich auszuruhen und noch etwas zu schlafen. Eine Banane und ein Salat aus dem Supermarkt sorgen für den nötigen Zuckerspiegel. Richtig gegessen wird erst hinterher. Andere Orchestermitglieder spazieren in den Freistunden an der Salzach entlang oder genießen ein leckeres Eis, die beste Wahl an diesen schwülwarmen Tagen.
Kurz vor Konzertbeginn stehen die Musiker still Reihe in Glied hinter der riesigen Schallmuschel, die den tiefen Bühnenraum im Festspielhaus begrenzt. Man ist fokussiert auf den Abend. Nur die hohen Temperaturen machen zu schaffen. Da haben es die Damen leichter, die "luftige Kleider tragen dürfen", bemerkt einer der Musiker schmunzelnd. Gerade ist er in seinen schwarzen Frack geschlüpft. Sich umgezogen wird hinter der Bühne zwischen den dort platzierten Frachtkisten. Da liegen auch kleine Wasserflaschen oder Zigaretten für die Pause. Manche Musiker sind erst später besetzt und schleichen während der ersten Konzerthälfte leise zu ihren mobilen Garderoben. Dumpf und blechlastig dröhnt der Klang aus dem Saal auf die Hinterbühne.
Live und mit ORF-Mitschnitt funktioniert alles noch intensiver als in der Probe. Auch Mork spielt einen beseelten und differenzierten Dvořák. Das Publikum im erneut ausverkauften Festspielhaus erklatscht sich als Zugabe den ersten Satz aus "Pelleas et Melisande" von Sibelus. Das finnische Repertoire aus Sarastes Heimat ist ganz in den Zugabenblock abgewandert, 2012 hatte man immerhin noch Sibelius' selten zu hörende Tondichtung "Der Barde" mit im Hauptprogramm. Der Schwerpunkt liegt diesmal auf den drei großen "B" der Wiener Musikgeschichte – Beethoven, Brahms und Bruckner (3. Sinfonie) – sowie den drei gespielten Konzerten von Schostakowitsch, Dvořák und am dritten Abend Mozart (5. Violinkonzert). Offenbar auch ein Tribut an den eher konservativen Geschmack in Salzburg, wo die Damen auch mal im Dirndl ins Konzert gehen.
Mork, Thibaudet und die norwegische Geigerin Vilde Frang – an diesen drei Tagen sind nur Top-Solisten zu erleben. Auf die muss sich das Orchester immer wieder neu einstellen. Routine ist solch ein Gastspiel für keinen der Musiker, auch nicht für den Kontrabassisten Michael Geismann. Er hebt die ungewöhnliche Aufstellung seiner Instrumentengruppe auf der linken Seite hinter den ersten Violinen hervor. Dies soll ein ausgewogeneres Klangbild ermöglichen. Eine von Saraste bereits in Köln ausprobierte Erneuerung, die jedoch auch in Salzburg prächtig funktioniert. Das wurde etwa zu Beginn des zweiten Satzes aus Beethovens Siebter deutlich, wenn Bratschen, Celli und Kontrabässe das Thema vorstellen. In der Probe muss man sich allerdings auch mal quer über das Orchester miteinander verständigen.
Nach Auskunft des Orchestermanagers Siegwald Bütow ist das dritte Salzburg-Gastspiel für 2016 bereits "angedacht". Für den Klangkörper sei es enorm wichtig, sich auch auf internationalen Podien zu beweisen. In diesem Fall kann man sich sogar an die Historie anschließen: Bereits 1973 debütierte das WDR Sinfonieorchester, damals noch als "Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester", bei den "Salzburger Festspielen". Am Pult stand damals Herbert von Karajan. Das Ergebnis, die Uraufführung von Carl Orffs Oratorium "De temporum fine comoedia", wurde sogar bei der Deutschen Grammophon eingespielt. Wenn das nichts ist.
(Von Matthias Corvin)
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