"The Big Bernstein" – Schleswig-Holstein Musik Festival huldigt "Lenny" zum 100.

19. August 2018 - 11:22 Uhr

(Korresondentenbericht)

Büdelsdorf – Es sind Momente, die wie im Brennglas den besonderen Charakter des Schleswig-Holstein Musik Festivals festhalten: Am Samstagabend, vor Beginn des Konzertes mit dem Percussion-Tausendsassa Martin Grubinger, fragt Intendant Christian Kuhnt in vertrautem Ton, wer denn schon seit 14:00 Uhr dabei ist, als die große Hommage "The Big Bernstein" mit einem ersten Konzert begann. Die Finger fast aller Besucher in der ausverkauften ACO Thormannhalle in Büdelsorf schnellen in die Höhe. Und bei der Nachfrage, wer denn schon den neuen Bernstein-Gedenkbildband "I fell in Love with Schleswig-Holstein" erworben habe, nur wenige – und praktisch alle im Saal lachen vergnügt.

Leonard Bernstein 1987 mit dem Festivalorchester

Leonard Bernstein 1987 mit dem Festivalorchester

Die große Dankbarkeit und Verbundenheit mit Leonard Bernstein (1918-1990) ist geblieben. Bernstein wurde am 25. August vor 100 Jahren geboren. Er war Deutschlands größtem Klassik-Festival seit der Gründung 1986 eng verbunden und leitete damals das Eröffnungskonzert. 1987 gründete der Dirigent und begeisterte Musikvermittler das Schleswig-Holstein Festival Orchestra. Es wird jeden Sommer mit etwa 120 jungen Musikern aus aller Welt neu zusammengestellt – und es überzeugte in seiner aktuellen Besetzung am Wochenende durch Spielfreude ebenso wie hohes technisches Können.

Zu Beginn der bis Sonntagabend dauernden Hommage mit sieben ausverkauften Konzerten auf dem NordArtgelände und in der angrenzenden Thormannhalle würdigt Kuhnt die Verdienste Bernsteins, der "das Festival maßgeblich geprägt hat". Das Publikum mag den Intendanten spürbar, wie er immer wieder liebevoll zu unterhalten und einzubinden weiß. Er habe Festival-Gründer Justus Frantz gerade nochmal gefragt, wie der es denn geschafft habe, Bernstein damals überhaupt nach Schleswig-Holstein zu holen. "Mit dem Wetter", habe Frantz geantwortet. Das Wetter in Schleswig-Holstein sei genauso schön wie auf Gran Canaria, habe er Bernstein gesagt … (was in diesem Sommer wohl noch fast als Untertreibung gelten kann).

Die Programmfolge ist wohldurchdacht und bietet dem Publikum im Laufe des Tages in drei Konzerten sehr unterschiedliche Facetten von Bernsteins künstlerischem Schaffen – anfangs sakrale Musik, dann symphonische Werke einschließlich Filmmusik sowie Jazz und zum Abschluss die Percussion-Interpretationen Grubingers der wichtigsten Stücke aus dem Musical "West Side Story".

Zum Auftakt spielt der US-Organist Cameron Carpenter in dem Industriedenkmal Carlshütte, einer ehemaligen Eisengießerei auf dem NordArt-Gelände, auf seiner digitalen m&o-Orgel (Marshall & Ogletree) unter anderem Bernsteins 1965 uraufgeführte "Chichester Psalms". Auch Bernsteins "missa brevis" und vertonte Psalmen von Charles Ives (1874-1954) sowie ein Werk von Samuel Barber (1910-1981) prägen das sakrale Konzert auf Spitzenniveau. Die alte Industriehalle mit Eisenträgern und unverputztem Mauerwerk gerät atmosphärisch zum Kirchenschiff. Neben Carpenter ragen insbesondere der international renommierte Countertenor Terry Wey mit seiner knabenhellen Stimme und der Schleswig-Holstein Festival Chor mit 90 Sängern heraus.

Atemberaubend dann der Auftritt der Weltklasse-Klarinettistin Sabine Meyer – es ist bereits ihr 18. Festival-Konzert, sie ist dieses Jahr die Porträtkünstlerin. Sie intoniert sauber, klar, gefühlvoll, spielt melancholisch und beherrscht alle Nuancen. Nach Bernsteins "Prelude, Fugue & Riffs" für Klarinette und Jazzensemble streut "die" Meyer mit Dirigent Wayne Marshall am Piano eine Zugabe ein und zeigt ihr Improvisationskönnen als Jazzerin – das Publikum ist begeistert.

Ein Selbstgänger sind am Abend Martin Grubinger und seine Percussion-Artisten. Seit 2015, als Grubinger erstmals "die Carlshütte entstaubt hat" (Kuhnt), sind die Musiker Publikumslieblinge. Und Martin Grubingers gleichnamiger Vater, Arrangeur vieler Stücke, bindet das Publikum ein, wie es dem Musikpädagogen Bernstein wohl auch gefallen hätte. Um rhythmisch und im Takt mit zu klatschen, probt er gut eine Viertelstunde und macht den Zuschauern klar, dass hier ein anderes Klatschen als beim Radetzkymarsch notwendig ist. Den richtigen Klatsch-Rhythmus erklärt er am Beispiel von Vornamen: "Erika-Erika-Hannelore-Ann-Magdalena". Am Ende klappt es prima, das Publikum begleitet das Kultstück "America" aus der "West Side Story" – und alle scheinen glückselig.

Die Bernstein-Feierlichkeiten gehen am Montag (20.8.) weiter. In der Hamburger Elbphilharmonie spielt der schwedische Jazz-Pianist Nils Landgren "A Tribute to Leonard Bernstein". Justus Frantz widmet Bernstein das Festival-Finale. In der Kieler Sparkassenarena dirigiert er am 25. August, also auf den Tag genau am 100. Geburtstag Bernsteins, Beethovens Neunte Sinfonie. Der Spielort ist beziehungsreich: In der damaligen Ostseehalle hatte "Lenny" 1986 das Eröffnungskonzert dirigiert und die internationale Musikwelt auf das neue Festival im Norden aufmerksam gemacht. Es liegt auch in diesem Jahr auf Erfolgskurs. Bereits zur Halbzeit waren 165.000 von rund 190.000 Karten verkauft – eine Auslastung von rund 87 Prozent.

(Von Matthias Hoenig, dpa/MH)

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