Berlin – Daniel Barenboim ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. Der argentinisch-israelische Dirigent und Pianist engagiert sich immer wieder auch politisch, etwa für eine Annäherung im Nahostkonflikt. Zum 25-jährigen Jubiläum der deutschen Einheit dirigiert er am (heutigen) Samstag Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg".
Auf die Wendezeit blickt Barenboim mit gemischten Gefühlen zurück. Das Ende des Kalten Krieges habe nicht alle Probleme gelöst, sagte der 72-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Sie sind nun 23 Jahre an der Spitze der Berliner Staatsoper. Wie schwer war das Überleben des Hauses nach der Wende?
Antwort: Die Berliner waren verwöhnt. Im Westen zahlte man weniger Steuern und lebte mit Sonderkonditionen, Ost-Berlin war ein Schaufenster zum Westen. Die Staatskapelle war in der DDR das bestbezahlte Orchester. Mit der Vereinigung fiel sie auf den Platz 23 zurück. Es war ein harter Aufholkampf. Aber wir leben noch.
Frage: Mit der Vereinigung begann ein neues Kapitel…
Antwort: Ja, es gibt aber eine Seite, die ich nicht überbewerten will, die mir aber auf der Seele liegt: Der Westen trat ein wenig zu triumphalistisch gegenüber dem Osten auf. Das soll jetzt keine große politische Aussage sein, aber lange wurde so getan, als ob der Kapitalismus das perfekte System sei. Natürlich war der Mauerfall ein großer Moment der Geschichte – keine Frage. Er hat Millionen die Freiheit gebracht. Dennoch hat das Ende des Kalten Krieges nicht alle Probleme gelöst. Die Balance zwischen den Großmächten sorgte für ein gewisses Gleichgewicht. Nach dem Ost-West-Konflikt sehen wir uns mit Problemen konfrontiert, die es vorher nicht gab.
Frage: Welche Rolle sehen Sie für Deutschland?
Antwort: Deutschland hat eine Führungsrolle – nicht militärisch, aber wirtschaftlich, politisch, kulturell. Es ist das einzige Land, das sich in dieser Tiefe mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat, mit der NS-Zeit und dem Holocaust. Andernfalls könnte ich nicht in Berlin als Jude leben. Deutschland darf aber nicht im Schatten der Vergangenheit verharren und deswegen keinen Einfluss nehmen, etwa im israelisch-palästinensischen Konflikt. Gerade da haben die Deutschen eine moralische Verpflichtung gegenüber den Juden. Deren Hauptsorge müsste es jetzt sein, ein Abkommen mit den Palästinensern zu schaffen. Allerdings sehe ich zur Zeit nicht den Willen für den Frieden – auf keiner Seite.
(Die Fragen stellte Esteban Engel, dpa)
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