Berlin – Wim Wenders (71) gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmregisseure. Zu seinem Werk zählen Welterfolge wie "Paris, Texas" und "Der Himmel über Berlin". Nun inszeniert er zum ersten Mal eine Oper. Mit Daniel Barenboim als Dirigent bringt Wenders am (heutigen) Samstag Georges Bizets "Die Perlenfischer" an der Berliner Staatsoper heraus. Im dpa-Interview berichtet der Filmemacher über seine Erfahrungen mit der Oper und seine Liebe zur Musik.
Frage: Sie führen zum ersten Mal Regie in der Oper. Wie fühlen Sie sich als Neuling in dem Fach?
Antwort: "Uffjerecht", wo das ja nun mal in Berlin stattfindet. Ist ja aufregend, etwas zum ersten Mal zu tun. So viel auf einmal gibt es ja selten zu lernen. Im Film habe ich alles mehr unter Kontrolle. In der Oper ist der Dirigent die ausschlaggebende Person, der Regisseur die zweite Geige. Wir machen gerade die Orchesterproben, und da stelle ich mit Freude fest, wie sehr die Regie der Musik zuarbeitet.
Frage: "Die Perlenfischer" war die erste Oper, die Sie gehört haben.
Antwort: Lange Zeit kannte ich sie in der Tat nur vom Hören. Gespielt wird sie ja nicht oft, zu Unrecht. Dann habe ich sie erst neulich zum ersten Mal gesehen, in einer Live-Übertragung aus der Met in New York, in einem Multiplex am Alexanderplatz. Da kamen die Leute sogar im schwarzen Anzug ins Kino. Danach wusste ich, wie ich die Oper bestimmt nicht machen will.
Frage: Was reizt Sie an den "Perlenfischern"?
Antwort: Die Musik ist richtig toll. Ich finde es sensationell, dass Georges Bizet sie mit 24 Jahren geschrieben hat. Unvorstellbar! Wie viele Ideen der mit jugendlichem Elan da reingebuttert hat! Nur von seinen Librettisten wurde er leider nicht so gut bedient. Als sie das fertige Werk sahen, waren sie etwas geknickt. Wenn sie gewusst hätten, dass dieser junge Mann so viel Talent hatte, sagten sie kleinlaut, hätten sie Bizet nicht einen solchen Bären aufgebunden. So wörtlich ihr französischer Ausdruck. Aber man kann die Geschichte durchaus freilegen. Und dann ist sie interessant. Eine klassische Dreiecksbeziehung.
Frage: Was kann der Opernregisseur Wenders vom Filmregisseur Wenders lernen?
Antwort: Raumaufteilung. Das Licht. Für mich ist das Licht das Wichtigste nach der Musik. Das Licht erzählt auf der Bühne richtig viel. Man hat ja nur diesen einen Raum, und in dem kann nur das Licht neue Räume und Stimmungen schaffen. Unsere Oper spielt ja an einem Ort, der von jedermanns Phantasie schon sehr vereinnahmt ist: auf einer Insel.
Frage: Hatten Sie eine Bilderidee, als Sie die Oper zum ersten Mal hörten?
Antwort: Ich habe die Musik der "Perlenfischer" vor allem über die Arie des Nadir kennengelernt. Die setzte sich in meinem Kopf fest. Monatelang. Schließlich hatte ich auch die ganze Oper als Langspielplatte. Bilder hatte ich dazu nicht, zumindest keine konkreten. Das ist ja reine Sehnsuchtsmusik. Die Oper hatte ich nie gesehen, die lief einfach nirgendwo, wo ich war. Sie wird eben selten gespielt. Damals konnte man auch nicht einfach auf YouTube gehen wie heute, wo wir alles immer zur Verfügung haben. Als dann von Daniel Barenboim die Einladung kam, etwas zusammen zu machen, und das großzügige Angebot, dass ich dafür auch selbst einen Vorschlag machen könnte. Da dachte ich: Wenn ich schon etwas zum ersten Mal machen darf, dann soll es auch etwas sein, was man nicht dauernd im Repertoire sieht, und habe eben die "Perlenfischer" vorgeschlagen. Barenboim hat sich die Partitur durchgesehen. Er sagte: "Ja, das ist schön, das habe ich auch noch nie gemacht" und hat zugestimmt.
Frage: In Ihren Filmen spielt Musik eine zentrale Rolle.
Antwort: Ja. Von lateinamerikanischer Musik bis zu Rock’n’Roll, Blues und Fado. Klassik war nicht so oft dabei, auch wenn ich immer wieder mit orchestraler Musik gearbeitet habe, gerade beim "Himmel über Berlin".
Frage: Haben Sie einen Bogen um die klassische Musik gemacht?
Antwort: Ich höre viel klassische Musik. Aber Opern zu machen, das ist ein anderes Metier. Erstmals habe ich daran gedacht, als ich 2013 ein Angebot für den "Ring" in Bayreuth bekam. Aber daraus wurde dann nichts. Und dann rief Daniel Barenboim an.
Frage: Oper ist bei Nicht-Operngängern als künstlich verschrien. Empfinden Sie das auch so?
Antwort: Ja, mitunter. Bei manchen Opern geht mir das so, dass ich da nicht viel mit anfangen kann, weil ich in die Welt nicht reinkomme, oder sie eben zu künstlich ist. Bei unseren "Perlenfischern" habe ich gerade davor den größten Bammel gehabt. Aber kaum standen die Sänger vor mir, hat sich das gegeben. Da wurde alles recht "wirklich".
Frage: Diese Oper steht ja fest im Zeitgeist des 19. Jahrhunderts.
Antwort: Damals hatte man ein großes Vergnügen an exotischen Orten, ohne viel von denen zu wissen. Bizet dachte daran, seine Oper in Mexiko spielen zu lassen, dann haben ihn die Librettisten in den Indischen Ozean nach Ceylon geschickt. Zum Glück hat die Geschichte einen universellen Kern: Zwei Männer und eine Frau, das gibt’s auch im Kino oft. Hier gibt es auf der einen Seite das Liebespaar mit seiner verbotenen Liebe, auf der anderen den Freund, der nach einem Anfall von rasender Eifersucht doch über seinen Schatten springen kann und mit einer Geste der Großzügigkeit die Liebe der beiden freisetzt.
Frage: Sie wollten ja mal Saxofonist werden?
Antwort: Ja, das Instrument kommt leider wenig vor im Orchester. Aber mit 21, 22 Jahren habe ich mein Tenorsaxophon verkauft und mir dafür eine 16mm-Kamera gekauft. Das war ein Scheideweg in meinem Leben, den ich aber nicht bereut habe. Um richtig gut zu sein, hätte ich nichts anderes machen können, als Saxofon zu spielen. Und ich habe gemerkt, dass das nicht meine Begabung war.
Frage: Und Sie haben sich einer Kunstform zugewandt, in der alle Künste zusammenfließen – dem Kino.
Antwort: Ja, aber das habe ich erst allmählich herausgefunden. Meine ersten Filme waren Stummfilme, praktisch nur lebende Gemälde, nach und nach ist dann Ton dazugekommen. Dass Film auch mit Musik und Architektur und Literatur und Geschichtenerzählen zu tun hat, habe ich erst später gelernt.
Frage: Sie haben in sich selber die Geschichte des Kinos nachvollzogen – vom Stummfilm zum Musikfilm.
Antwort: Ich habe neulich überlegt, dass ich mit Menschen gearbeitet habe, die in der Stummfilmzeit ihr Metier gelernt haben. Dazu gehörte zum Beispiel ein Kameramann, Henri Alekan, der in den 20er Jahren bei "Menschen am Sonntag" in Berlin Kameraassistent war! Ich habe mit Schauspielern gearbeitet, die noch mit Fritz Lang gearbeitet haben. So habe ich noch einen Zipfel der Anfangszeit des Kinos mitgekriegt und einen Blick auf die Zukunft bekommen. Lang hätte "Metropolis" sicher gerne in 3D gemacht.
(Interview: Esteban Engel, dpa)
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