Salzburg (MH) – Bühne frei für große griechische Tragödie mit der Musik von Hector Berlioz vor dem Hintergrund eines Skandals – so kann man die umjubelte Premiere von "Les Troyens" in halbszenischer Produktion bei den Salzburger Festspielen zusammenfassen. Dem Orchestre Revolutionnaire et Romantique und dem Monteverdi Choir gelang unter unguten Vorzeichen eine hochemotionale und überzeugende Vorstellung. Dinis Sousa, als John Eliot Gardiners musikalischer Assistent vorgestellt, sprang am Samstag als Dirigent ein, nachdem der große alte Herr einen Sänger bei einer Probe geschlagen haben soll. Daraufhin wurde darüber informiert, dass Gardiner "sein Dirigat zurücklegt".
Profis sind hart im Nehmen, und so brachte das Ensemble das monumentale Opernwerk brillant auf die Bühne. Die "historisch orientierte" Aufführungspraxis führte zu großer klanglicher Transparenz, Klarheit und überraschender Dynamik. Berlioz' exzentrische Struktur mit mehreren Chorgruppen und Blechbläserchören samt den berühmten Meyerbeerschen Saxhörnern beherrscht die Produktion souverän, der Chor leistet musikalisch und darstellerisch als Volk der Trojaner und Karthager großen dramatischen und geradezu betörenden Eindruck. So wurde der Massenselbstmord der Trojanerinnen zu einer umjubelten Schlüsselszene – allerdings kaum denkbar ohne die hochdramatische stimmliche und körperliche Präsenz von Alice Coote als Cassandre. Besser kann man die Rolle nicht verkörpern.
Doch alle Rollen waren top besetzt. Michael Spyres festigt seinen Ruf als flexibler Tenor mit souveränen Spitzentönen, hat aber im Lauf des Abends Konditionsprobleme. Paula Murrihy gibt der Rolle der Dido viele Facetten und Einfühlsamkeit. Eine Überraschung des Abends: Laurence Kilsby feintimbrierte Tenorstimme in der Doppelrolle Iopas / Hylas. Und die musikalische Leitung? Dinis Sousa nutzte die Gelegenheit und führte das Ensemble größtenteils sicher und umsichtig durch das Mammutwerk, ein wichtiger Schritt zu weiterer Opernkompetenz.
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(mk/wa)
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