Holger Noltze: "Die Leichtigkeitslüge" – Musik, Medien und Komplexität

01. April 2011 - 09:48 Uhr

Holger Noltzes Buch "Die Leichtigkeitslüge" schlägt Wellen. In mancher Rezension heißt es, er kritisiere, ja "attackiere" die Musikvermittlung. Das tut er mitnichten, jedenfalls nicht per se. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Vermittlung von Musik steht für den Professor für Musik und Medien an der TU Dortmund außer Frage. Gerade deshalb kritisiert er schlechte – oder, wie er sie provokativ nennt – "furchtbare" Vermittler in den verschiedenen Erscheinungsformen.

Holger Noltze (Foto: © version-foto)

Der Autor legt die Finger in drei große Wunden: das deutsche Bildungssystem und die Medien, aber auch die Kulturbetriebe selbst. Sorgfältig analysiert er die Versäumnisse hinter den Kulissen. Diese beginnen – wie so oft – mit vermeintlichen oder tatsächlichen finanziellen Engpässen. Der Umgang der Beteiligten damit macht vieles noch schlimmer.

Am sträflichsten sind die Versäumnisse im Bildungswesen. Die Ausfälle von Musikunterricht an den allgemeinbildenden Schulen erreichen über 50 Prozent. Und die Anforderungen an Lehrer sinken immer weiter. Das ist besonders gravierend, weil Kinder bis zum Alter von etwa acht, neun Jahren ihre musikalischen Vorlieben und Abneigungen entwickeln.

Bei den öffentlich-rechtlichen Medien sieht Noltze den Kultur- und Bildungsauftrag immer weniger erfüllt. Die Fernsehsender betreiben Quotenjagd mit seichter Unterhaltung, die das Stammpublikum der Klassischen Musik vergrault, neue Zuschauer dafür aber nicht interessieren kann. Die aufgeführten Beispiele sprechen erschreckend Bände. Der Rundfunk – von jeher ein Hort der Kultur – kommt nur unwesentlich besser davon, seit er ebenfalls dem Quotendruck des Formatradios unterworfen wird. Auf diesen Trümmern legen die Konzerthäuser und Orchester, teils zögernd, teils lieblos, eigene Bildungsprogramme auf.

Vor allem beobachtet Noltze in der Musikvermittlung einen Trend zur Vereinfachung. Die Einwände, man müsse beim neu zu werbenden Publikum "Schwellenängste" abbauen, lässt er nicht gelten. Diese hält er für übertrieben dargestellt. Außerdem werde an so vielen Stellen der "leichte Einstieg" angeboten, dass die Leichtigkeit für das tatsächliche Niveau gehalten werden kann. Denn die Anforderungen ans Publikum werden eben nicht gesteigert. Der Wahl der "Schönsten Opern aller Zeiten" von 3sat, ZDF-Theaterkanal und Classica zum Beispiel folgte nicht in eine Auseinandersetzung mit den kompletten Werken. Stattdessen gipfelte die Abstimmung in einer Fernsehshow mit Arien-Häppchen.

Noltze rügt also nicht die Musikvermittlung, sondern diejenigen unter den Vermittlern, die es besser wissen und können müssten. Sein Buch stellt eine düstere Bestandsaufnahme dar. Dennoch zeigt er am Ende eine Alternative, die verblüffend einfach ist (um an dieser Stelle nicht "leicht" zu sagen).

Über den Autor: Holger Noltze ist Professor für "Musik und Medien" an der TU Dortmund und Musikjournalist. 1960 in Essen geboren, studierte er Germanistik, Hispanistik und Geschichte in Bochum und Madrid. Beim WDR war er Redakteur und Moderator verschiedener Kultursendungen im Radio und Fernsehen. Von 2000 bis 2005 war er Ressortleiter Aktuelle Kultur beim Deutschlandfunk. Bis heute moderiert er im WDR-Fernsehen die Gesprächsrunde "west.art Talk". Daneben hat Noltze Bücher über Goethe (2007) und Wagner (2008) veröffentlicht und schreibt für Zeitungen, Zeitschriften sowie den WDR 3 Hörfunk.

Cover "Die Leichtigkeitslüge"

Ein Interview von "musik heute" mit dem Autoren finden Sie hier.

(wa)

Holger Noltze: "Die Leichtigkeitslüge. Über Musik, Medien und Komplexität"
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010
294 Seiten mit 19 s/w-Abbildungen
Gebunden mit Schutzumschlag | 12 x 20,5 cm
ISBN: 978-3-89684-079-0
18,00 € (D)

Mehr zu diesen Schlagwörtern: , , , ,
Print Friendly