Von Lieske Strudthoff (27, Assistentin im Team des Zukunftslabors der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen)
Ein Zirkuszelt mit sechs Masten und 1.000 Sitzplätzen auf einem grünen Hügel, über 600 Beteiligte, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen , das Schulorchester mit klassischen, aber auch selbstgebauten vietnamesischen Instrumenten, Techniktrassen in einer Höhe und Breite von unzähligen Metern und eine riesige weiße Fassade mit Fenstern als Bühnenbild mit 144 Quadratmetern Fläche. Als diese gewaltigen Zahlen nachhallten, wurde mir ein weiteres Mal die Größe und Komplexität der 5. Stadtteil-Oper der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen in Kooperation mit der Gesamtschule Bremen-Ost bewusst.
Bei der Stadtteil-Oper treffen Welten aufeinander. Soziale, kulturelle und in diesem Jahr auch meteorologische. Zusammen mit der Gesamtschule Bremen-Ost in Osterholz-Tenever, inmitten eines Stadtteils mit besonderen sozialen Herausforderungen, in dem Menschen aus 88 Nationen zusammenleben und ein großer Prozentsatz der Menschen staatliche Unterstützung erhält, bekommt Kulturvermittlung und Förderung von Potenzial eine neue Dimension.
Ich selbst durfte im Februar 2014 zum Organisationsteam hinzustoßen, also in der "heißen Phase". Denn bereits seit Sommer letzten Jahres wurde an der Verwirklichung der von Karsten Gundermann komponierten Stadtteil-Oper unter der Regie von Julia Haebler gearbeitet – und das in den unterschiedlichsten Bereichen. Es wurden Lieder einstudiert, Choreografien erarbeitet, Bühnenbilder gemalt, Kostüme genäht. Jeden Tag gab es eine neue Herausforderung, die gemeistert wurde und das Gesamtbild wie ein Puzzle immer weiter zusammenfügen ließ.
Für mich wurde immer klarer, dass es dabei nicht nur um das Erreichen einer "Ziellinie", also den Aufführungen am 08. und 09. Mai ging, sondern dass es ein Prozess der ganzheitlichen Erfahrung und des Lernens war. Die GSO wurde zu Klein-Vietnam und die Schüler, zunächst etwas unwissend in Bezug auf das Land und die Traditionen, wurden zu richtigen Experten. Solisten aus Vietnam hielten Vorträge, Lehrer bauten mit den Schülern komplexe indigene Instrumente wie Stein- und Bambusxylophone, Maultrommeln oder Kniegeigen, und die Schüler lernten den Umgang mit diesen. Jeder wurde Teil des Ganzen und damit ein individueller Teil der Inszenierung.
Die Oper von Karsten Gundermann thematisierte ein 5.000 Jahre altes Märchen aus Vietnam, dessen Inhalt heute nicht weniger aktuell ist. Vertreibung, Ausgrenzung, Intrigen, die Heimat verlieren und vor dem Nichts stehen. Auch die Zuschauer machten diese Erfahrung, als sie in der zweiten Hälfte von ihren Plätzen auf der Tribüne auf Bierbänke im Zuschauerraum "vertrieben" wurden. Dies ermöglichte eine neue Sicht auf das Geschehen, und die blauen Stühle der Tribüne wurden zum reißenden Meer. An dieser Stelle wurde dann schnell klar, welches Lied die Schüler am liebsten sangen und der Ohrwurm "Das Meer kennt kein Erbarmen" hielt bei allen Beteiligten noch Tage an.
Ein Projekt wie die Stadtteil-Oper lässt Vieles aufeinandertreffen. Seien es die Profimusiker der Deutschen Kammerphilharmonie mit Schülern und dem vietnamesischen "Lotus Duo", das Organisationsteam der Kammerphilharmonie und des Zukunftslabors, freiwillige Helfer aus dem Stadtteil und engagierte Mütter des Mütterzentrums Osterholz-Tenever, um nur einige zu nennen, oder eben ein tagelang andauerndes Unwetter. Diese Verbindungen haben trotz Herausforderungen zu einem unvergesslichen Erlebnis geführt und Zuschauer als auch Beteiligte für ein paar Stunden in eine andere Welt entführt. In die Welt Vietnams, in seine Kultur und seine Musik.
Kultur ist ein Entwicklungsmotor und kann Brücken zwischen Ländern, Ansichten und sozialen Unterschieden schlagen. Ein Teil dieses Brückenbaus zu sein ist eine großartige Erfahrung.
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