Lviv (Lemberg) – Ihre Ukrainereise führte den Kammerchor der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar und die jüdischen Kantoren des Abraham Geiger Kollegs am Wochenende nach Lviv (Lemberg). Im vollbesetzten Saal der Lemberger Philharmonie gaben sie – nach ihrem Auftritt in Kiew – ihr zweites, vom Publikum mit stehenden Ovationen bedachtes Konzert. "Das war so positiv, so interessant!", resümierte Luba Kyyanovska, Professorin für Musikgeschichte an der Musikakademie Lviv. "Es war sehr kulturvoll und mit wirklich tiefen Gefühlen. Eine völlig unbekannte Musik. Leider, muss ich sagen. Ich habe das in dieser Form zum ersten Mal gehört."
Viel Respekt sprach aus den Worten der langjährigen Professorin, die an jenem Abend mit einigen ihrer Studierenden in der Philharmonie zu Gast war. Vielen weiteren Gästen ging es wie ihr: Erstmals hörten sie jüdischen Kantorengesang in ihrer Stadt. Es sei gut möglich, so die Wissenschaftlerin, dass man nun in Lviv diesem Gesang mehr Aufmerksamkeit schenken würde: "Von meiner Seite ganz bestimmt." Zu einer Begegnung kam es auch mit der Studentin Galina. Sie ist erst seit Juli hier, geflohen aus Donetzk, jener Stadt im Osten der Ukraine, die seit den Sommermonaten ständig unter Beschuss steht.
Wie es in ihrem früheren Haus aussehe, wisse sie nicht. Es sei auch fast egal, "denn wir haben alle überlebt, meine Familie und ich." Hier in Lemberg fängt Galina gerade ein neues Leben an und hofft auf ein Stipendium. Ihr Ziel: Sie möchte Dirigentin werden. Jüdische Lieder könnten auch für sie ein neues Repertoire sein, vor kurzem habe sie erst erfahren, dass ihre Großmutter Jüdin war und deren Eltern im Holocaust ums Leben kamen. Es waren vor allem diese Begegnungen und vielen Gespräche, die der Reise Tiefe und Nähe gaben.
Der Majdan in Kiew führte zu einer bedrückenden inneren Stille und traurigen Stimmung angesichts der vielen Fotos ermordeter Menschen am Rande des Platzes. Das quirlige Lviv hingegen mit Straßenmusikern und Caféterrassen hinterließ auf den ersten Blick einen leichten Eindruck. Der zweite Blick war hingegen deutlich schwieriger: Der politische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, patriotische Plakate im Straßenbild, sind auch hier ein Zeichen für das, was sich derzeit mehr im Osten des Landes abspielt.
Doch auch das jüdische Erbe der Stadt birgt ein weites Feld für Diskussionen und Missverständnisse. Durch den Holocaust kamen etwa 120.000 Juden ums Leben. Heute leben wieder ca. 3.000 jüdische Menschen in Lviv, nach dem Holocaust waren es knapp 800. "In unserer Stadt gibt es alle Voraussetzungen, dieses Leben wieder zu entwickeln", sagte Andrij Pawlyschyn, Historiker, Journalist und Übersetzer, der das Konzert in Lviv besuchte.
Die fünftägige Ukrainereise des Kammerchores und der jüdischen Kantorinnen Avi Weinberg und Schulamit Lubowska wurde vom Auswärtigen Amt finanziert. "Wir fühlen uns als Botschafter der Kultur", so Prof. Dr. Christoph Stölzl, Präsident der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar. "Die beiden Konzerte sind hoffentlich erst die Ouvertüre für eine lange und tiefe Zusammenarbeit zwischen den Musikhochschulen in Kiew, Lviv und uns. Wir wollen gute Partner finden, mit denen wir weiterarbeiten können auf dem Gebiet der jüdischen Musikgeschichte. Uns ist daran gelegen, die jüdische Musik zu erforschen, weil wir wissen, dass es unglaublich viele, wunderbare musikalische Schätze zu entdecken gibt. In Weimar haben wir den bislang europaweit einzigen Lehrstuhl für jüdische Musikgeschichte. Dort wird sich Professor Jascha Nemtsov dem Erbe der vergessenen jüdischen Komponisten widmen, und ich bin mir sicher, dass wir noch viele gute Konzerte hören werden."
In Dezember 2014 wird es in Lviv die nächste Begegnung geben: Eine wissenschaftliche Tagung, um zu sehen, welche Dokumente zu jüdischem Liedgut in den Archiven liegen, welche Namen von Komponisten es zu entdecken gilt und wie eine wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet europaweit aussehen könnte.
(Von Blanka Weber, Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar)
Direkt am Majdan: Kammerchor der Weimarer Musikhochschule konzertiert mit jüdischen Kantoren (07.11.2014)
Kammerchor der Weimarer Musikhochschule in der Ukraine (05.11.2014)
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