Jonas Kaufmann: "Will mich immer weiterentwickeln" – Würde niemals Peking-Oper oder Rockkonzerte singen

26. Juni 2015 - 08:40 Uhr

München – Der Tenor Jonas Kaufmann ist auf den großen Opernbühnen der Welt zu Hause. Der Weg dorthin gelang aber nicht ohne Umwege. Nach dem Abitur nahm er zunächst ein Mathematikstudium in München auf. Einige Semester später entschied er sich endgültig für die Musik. Am Samstag steht der 45-Jähige mit der wohl berühmtesten Sopranistin auf der Bühne: Gemeinsam mit Anna Netrebko (43) tritt er beim "Gipfeltreffen der Stars" auf dem Münchner Königsplatz auf. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht er über die Arbeit mit Netrebko, die Herausforderungen seines Berufes und verrät, was er niemals singen würde.

Jonas Kaufmann

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Frage: Sie stehen mit Anna Netrebko zusammen auf der Bühne des Königsplatzes und singen große Opern-Klassiker. Müssen Sie da überhaupt zusammen proben? Oder klappt das einfach so?

Antwort: Kein Konzert ohne Probe! Selbst wenn man auf einer Tournee an zehn Abenden hintereinander dasselbe Programm singt, muss man vor jedem Konzert proben, schon weil jeder Raum eine andere Akustik hat. Und bei einem technisch aufwendigen Freiluft-Konzert vor rund 15.000 Zuschauern wäre es schierer Wahnsinn, ohne Probe auf die Bühne zu gehen. Für das Konzert auf dem Königsplatz sind selbstverständlich mehrere Proben angesetzt, zumal auch Stücke auf dem Programm stehen, die wir noch nicht miteinander gesungen haben.

Frage: Sie sind seit Jahren ein gefeierter Tenor, wurden mit Preisen überhäuft. Was sind für Sie noch die großen Herausforderungen Ihres Jobs?

Antwort: Den einmal erreichten Qualitätsstandard zu halten, ist die eine Sache, doch für mich besteht die größte Herausforderung darin, mich künstlerisch und stimmlich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Jahrelang immer dieselben Rollen zu singen, würde mich einfach langweilen. Ich brauche die Abwechslung – stimmlich, sprachlich und musikalisch.

Frage: Welche Rollen haben Sie noch nicht gesungen, wollen das aber unbedingt nachholen?

Antwort: Verdis Otello, Offenbachs Hoffmann und Wagners Tannhäuser. Die ersten beiden sind für die Spielzeit 2016/17 geplant. Wann Tannhäuser kommt, steht noch nicht fest. Ich habe es nie eilig mit den sogenannten Traumrollen, sondern halte es grundsätzlich mit den Bergsteigern: Jeden Schritt langsam und mit Bedacht.

Frage: Und was würden Sie niemals singen?

Antwort: Peking-Oper und Rockkonzerte. Für alle Sänger gibt es natürliche Grenzen, auch für die vielseitigen.

Frage: Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach heute so etwas wie ein Star-Kult in der Klassik?

Antwort: "Star-Kult" bringt höchstens dann etwas, wenn Stars als Türöffner und Zugpferde dienen. Denn letztlich geht es ja nicht darum eine neue Callas oder einen neuen Karajan aufzubauen, sondern mit Hilfe bedeutender Künstler dafür zu sorgen, dass klassische Musik wieder mehr Bedeutung im Alltag hat. Zu Carusos Zeiten waren Puccini-Arien die Pop-Hits, die jeder kannte und mitsingen konnte. Davon sind wir heute Lichtjahre entfernt, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Klassik an Popularität gewinnt, wenn man sie entsprechend präsentiert.

Jonas Kaufmann

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Frage: Zu großen Auftritten wie diesem gehört sicher auch eine gewisse Lust an der Selbstdarstellung, oder? Haben Sie die?

Antwort: "Selbstdarstellung" ist ein Negativbegriff, der uns in der Diskussion um den Stellenwert von Klassik nicht weiterbringt. Wir sind Darsteller, und ohne Darstellungstrieb sollte man nicht auftreten. Wer aber nur sich selbst darstellt, sollte sich ein anderes Betätigungsfeld suchen. Wir stellen Figuren dar, in einer Aufführung genauso wie im Konzert. Wenn ich im Konzert "E lucevan le stelle" aus "Tosca" singe ist es ja dieselbe Situation wie in der Aufführung: Ein zum Tode Verurteilter nimmt Abschied von seinem Leben. Auch ohne Kostüm und Maske stelle ich diese besondere Situation dar.

Frage: Werden Events wie das "Gipfeltreffen" in Zukunft wichtiger?

Antwort: Das hängt davon ab, wie solche Konzerte vom Publikum aufgenommen werden. Ich würde mir wünschen, dass die Opern-Highlights bei einem Teil des Publikums die Lust aufs Ganze wecken. So sind ja die meisten von uns überhaupt zu Opern-Fans geworden: Sie haben im Film oder im Radio eine Arie gehört und wurden dann neugierig auf mehr.

Frage: Die teuersten Karten für das "Gipfeltreffen" kosten fast 320 Euro. Ist das angemessen?

Antwort: Ob das angemessen ist, darüber müssen die Zuschauer entscheiden. Preislich liegt das Konzert zwischen den Premierenkarten der Bayerischen Staatsoper und den Opernkarten der Salzburger Festspiele; die günstigste Karte für das "Gipfeltreffen" kostet 50 Euro.

Frage: Gehen Sie eigentlich auch mal ganz privat auf Konzerte? Und müssen das immer klassische sein?

Antwort: Wenn ich die Zeit dafür habe, besuche ich gerne Aufführungen und Konzerte. Und es muss nicht immer Klassik sein, mein Musikgeschmack ist breitgefächert, von Jazz bis Rock.

Frage: Anna Netrebko wagt sich im kommenden Jahr zum ersten Mal an Wagner. Was raten Sie ihr?

Antwort: Birgit Nilsson, die legendäre Brünnhilde und Turandot, hat auf die Frage, was man für Wagner vor allem mitbringen müsse, geantwortet: Bequeme Schuhe!

Frage: Und was können Sie von Anna Netrebko lernen?

Antwort: Eine halbwegs idiomatische Aussprache, wenn ich meine erste russische Partie studiere.

(Die Fragen stellte Britta Schultejans, dpa)

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