Hohe musikalische Qualität auf dem Weg zur Professionalität: Mit einer wahrhaft reifen Leistung präsentierte sich das neugegründete europäische Jugendorchester "I, CULTURE" am Mittwoch in der Berliner Philharmonie. Unter der Leitung seines Ersten Gastdirigenten Sir Neville Marriner interpretierte das Ensemble Werke von Peter Tschaikowski und Karol Szymanowski.
Solistin war die junge deutsche Violinistin Arabella Steinbacher, die ein feinfühliges Spiel mit vielen Farben zeigte. Dem Violinkonzert von Szymanowski verlieh sie transzendentale und sphärische Klänge. Der ausgewiesene Barockspezialist Neville Marriner blieb nah an der kompositorischen Substanz und vermied die bei Tschaikowski oft zu erlebende Überschwenglichkeit. Durch sein präzises Dirigat wirkte die 4. Sinfonie besonders reizvoll und nicht weniger intensiv. Dirigent, Solistin und Orchester war deutlich anzumerken, dass sie sich miteinander wohlfühlten.
Nach dem regulären Programm wandte sich Sir Neville Marriner an das begeisterte Publikum und wies darauf hin, dass dies sein erstes Konzert mit dem Orchester war. "Das war für mich ein außergewöhnliches Erlebnis", sagte er. Dafür verantwortlich sei der Künstlerischer Leiter Pavel Kotla, den er dann auf das Podium rief. Kotla dirigierte als Zugabe die Mazurka aus der polnischen Nationaloper "Halka" von Stanisław Moniuszko.
"I, CULTURE" ist das Kulturprogramm zur EU-Ratspräsidentschaft Polens und wird im Auftrag der polnischen Regierung durch das Adam-Mickiewicz-Institut realisiert. Flaggschiff des Programms ist das Orchester, dem zur Hälfte junge Musiker aus Polen angehören. Die anderen Künstler im Alter zwischen 18 und 29 stammen aus Weißrussland, der Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Sie hatten sich bei Vorspielen in ihren Heimatländern unter 700 Bewerbern qualifiziert.
"Wir sehen in unserer besonderen geografischen Lage einen Vorteil und eine Verantwortung", sagte Alek Laskowski vom Adam-Mickiewicz-Institut dem Nachrichtenmagazin musik heute vor dem Berliner Konzert. "Polen ist das westlichste Land Osteuropas und das östlichste Land Westeuropas." Daher orientiere sich das "I, CULTURE Orchestra" an dem Idealismus von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchester. Mit der Musik wolle man den jungen Menschen aus wirtschaftlich schwierigen Ländern Chancen für ein besseres Leben zeigen und erfahrbar machen. Besonderes Anliegen sei gewesen, Musiker aus politisch verfeindeten Staaten der ehemaligen Sowjetunion wie Armenien und Aserbaidschan zusammenzubringen.
Neben der politischen Symbolik sollte das "I, CULTURE Orchestra" (ICO) vor allem ein qualitativ hochwertiger Klangkörper werden. "Während sich die meisten osteuropäischen Musikhochschulen auf die Ausbildung von Soli-Virtuosen konzentrieren, haben wir bewusst auf ein großes Ensemble gesetzt", erklärte Laskowski. "Wir wollen damit auch ein Zeichen für die Ausbildung von Orchestermusikern setzen."
Den ausgewählten 104 ICO-Mitgliedern standen während der Probenphasen Musiker aus renommierten Ensembles zur Seite wie dem London Symphony Orchestra, der Opéra de Lyon, dem Philharmonia Orchestra und dem City of Birmingham Symphony. Drei Wochen der Probenarbeit und das erste gemeinsame Konzert fanden in Gdansk statt. Die Pressekonferenz vor Beginn der Tournee durch Europa wurde in der Werft veranstaltet, in der 1980 die freie Gewerkschaft "Solidarność" gegründet worden war.
Nach weiteren Konzerten in Kraków, Stockholm, Lublin, Kiew und jetzt der Berliner Philharmonie folgen das Palais des Beaux-Arts Brüssel, das Teatro Real in Madrid und die Londoner Royal Festival Hall. In Madrid ist Arabella Steinbacher erneut die Solistin. Die anderen Auftritte begleitet der schwedische Pianist polnischer Herkunft Peter Jablonski. Die Tournee endet am 11. November 2011 in der Nationalphilharmonie Warschau. Das "I, CULTURE Orchestra" soll auch nach der polnischen EU-Ratspräsidentschaft fortgeführt werden.
Sir Neville Marriner: I, CULTURE Orchestra “erinnert mich an meine Zeit als Student”
(wa/tr)